Wie wir im wirklichen Leben Eltern werden ist hinlänglich bekannt. Juristisch ist dies komplizierter. Hier wird die Elternschaft vom sogenannten Abstammungsrecht geregelt. Bis heute basiert dieses in Deutschland größtenteils auf biologischen Aspekten.
Wir fordern, dass der Vielfalt moderner Familien auch im Abstammungsrecht künftig Rechnung getragen wird. Regenbogenfamilien sollen die gleichen Möglichkeiten offen stehen wie Cis-Hetero-Familien, ohne dass die rechtliche Situation für letztere Familien grundlegend komplizierter wird. Die Paragraphen 1591 und 1592 des Bürgerlichen Gesetzbuches, die bisher Mutter- und Vaterschaft im Groben regeln, sollen in einem gemeinsamen Paragraphen über die Elternschaft verschmolzen werden. Dieser Paragraph soll folgende Fassung erhalten:
„§ 1591 Elternschaft
- Erster Elternteil eines Kindes ist die Person, die es geboren hat. Die Person bestimmt die für sie geltende familienrechtliche Zuordnung „Mutter“, „Vater“ oder „Elternteil“ nach freiem Willen. Erfolgt keine Bestimmung, wird die Person als „Elternteil“ bezeichnet.
- Weitere Elternteile eines Kindes sind die Personen
- die zum Zeitpunkt der Geburt mit dem ersten Elternteil des Kindes verheiratet sind,
- die die Elternschaft anerkannt haben oder
- deren Elternschaft […] gerichtlich festgestellt ist.Die Personen bestimmen die für sie geltenden familienrechtlichen Zuordnungen „Mutter“, „Vater“ oder „Elternteil“ nach freiem Willen. Erfolgt keine Bestimmung, werden die Personen als „Elternteil“ bezeichnet. Ein Kind kann nicht mehr als drei weitere Elternteile haben.
- Ändert sich das Geschlecht im personenstandsrechtlichen Sinne bei einer Person, so ändert sich auf Antrag nachträglich auch die familienrechtliche Zuordnung nach den Absätzen 1 und 2.“
Des Weiteren sind die folgenden Paragraphen und die § 1626 bis § 1698b BGB, welche die elterliche Sorge regeln, auf diese neue Regelung anzupassen und so zu fassen, dass sie dem neuen Charakter der Elternschaft bestmöglich dienen.
Die heutige Situation: Ein Relikt vergangener Tage
Seit der großen Reform des Kindschaftsrechtes im Jahre 1998 hat sich das Familienrecht in Bezug auf Kinder und ihre Eltern nur noch im Detail verändert. Damals wurde die Unterscheidung zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern aufgehoben und die Situation für in Scheidung lebende Paare vereinfacht.
Nach § 1591 BGB ist heute Mutter eines Kindes immer die Frau, die es geboren hat. Nach § 1592 BGB ist Vater eines Kindes entweder der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet ist, der die Vaterschaft anerkannt hat oder der gerichtlich als Vater festgestellt worden ist.
Ein trans Mann wird immer als Mutter ins Geburtenregister des Kindes eingetragen, selbst wenn er nach dem Transsexuellengesetz (TSG) und allen Registern als Mann gesehen wird. Für trans Frauen ist der Weg zu einer Eintragung im Geburtenregister oft noch weitaus komplizierter, selbst wenn eindeutig feststeht, dass sie der zweite Elternteil sind.
Queeren Paaren werden bei der Gründung ihrer eigenen Familie unzählige Steine in den Weg gelegt. Bis ein Kind zwei gleichberechtigte Väter oder Mütter hat, können oft Jahre vergehen. Aufwendige und zumeist kostenintensive Verfahren müssen durchlaufen werden.
Patchworkfamilien bleibt heute oft nur der, selten wirklich einfache, Weg einer Adoption, um für die Kinder gemeinsam Verantwortung übernehmen zu können.
Das deutsche Familien- und Abstammungsrecht ist weit davon entfernt allen Menschen und Familienmodellen gleiche Rechte und Pflichten zu übertragen. Der Reformbedarf dieses Rechtsgebietes ist allgemein anerkannt. Die Schritte, die von anderen Seiten gefordert werden, sind aber oftmals unzureichend und in manchen Punkten verkomplizieren sie die Situation nur noch weiter. Es ist Zeit für eine große, echte Reform und einer klaren Absage an die fixe Koppelung des Abstammungsrechts an die Biologie. Es ist im Gegenteil Zeit für die Stärkung der gesellschaftlichen Komponente der Elternschaft.
Das vorgeschlagene Modell entfernt sich zwar nicht völlig von einer biologischen Abstammung, liefert jedoch zusätzlich genau die Öffnung, die den betroffenen Menschen ein einfacheres Familienleben ermöglicht.
Die Vision: Ein praxistaugliches, inkludierendes, modernes Abstammungsrecht
Familie ist mehr als Eizelle und Sperma. Inwieweit wir gute Eltern abgeben, ist unabhängig davon, ob wir Frau oder Mann, Hetero oder Homo, Trans oder Cis, binär oder nicht-binär, alt oder jung, Akademiker*innen oder nicht, arm oder reich sind. Familie ist nicht umsonst ein Grundrecht. Jeder Mensch hat in Deutschland und eigentlich auch weltweit, unabhängig von allen Umständen, einen fundamentalen Anspruch auf die Gründung einer Familie. Wir setzen uns dafür ein, dass diesem Grundrecht endlich Rechnung getragen wird.
Unser Anspruch ist ein Familienrecht, das niemanden in diesem Land diskriminiert und für alle Menschen Möglichkeiten schafft Eltern zu werden. Wir wollen ein Familienrecht, das unkompliziert so viel wie möglich von der gesellschaftlichen Realität abbildet und Sicherheit gibt. Wir wollen, dass Menschen die Tragweite und das Vertrauen, die sich aus der Elternschaft ergeben ernst nehmen und sich bewusst dafür entscheiden können dieser Verantwortung gerecht zu werden. Wir wollen Kindern ermöglichen einfacher in bunten Familien aufzuwachsen und Realitäten jenseits klassischer Familienmodelle zu erleben. Lassen wir zu, dass die Menschen diese Freiheit der modernen Zeit nutzen.
Die Lösung: Ein neues Recht, das niemanden eine Möglichkeit nimmt und vielen Menschen Familie gibt
Die Verknüpfung von Vater- und Mutterschaft zu einer einzigen Rechtsnorm “Elternschaft“ bietet die Möglichkeit, diese Rollen künftig nicht mehr als etwas Verschiedenes anzusehen, sondern als gemeinsame lebenslange Verantwortung für ein Kind.
Mit dem Begriff der Elternschaft lösen wir uns auch von einer binären Sichtweise auf Familien. Grundsatz soll künftig sein, dass es Elternteile gibt. Diese Bezeichnung ist auch insbesondere für nicht binäre Menschen eine Möglichkeit, analog des dritten Geschlechteintrages „divers“, mit einer neutralen Benennung in den Geburtenregistern ihrer Kinder aufgeführt zu werden. Nur wenn Personen eindeutig die geschlechtsbezogenen Bezeichnungen Mutter oder Vater wählen, werden diese in den Registern aufgeführt. Mit der Klarstellung, dass ein Wechsel des Geschlechtes auch zu einem Wechsel der Bezeichnungen führen kann, werden nun transsexuellen und nicht binären Personen die eindeutige und unkomplizierte Möglichkeit gegeben die Geburtenregister ihrer Kinder anzupassen.
Wir stellen zudem klar, dass es sich bei männlich und weiblich nicht um ein Geschlecht im biologischen Sinne handelt, sondern, dass das Geschlecht entscheidend ist, welches die Eltern in ihrem Geburtsregister beim Standesamt führen.
Die Möglichkeit von bis zu vier Elternteilen soll Nicht-Zweier-Beziehungen, Patchworkfamilien und anderen eine Möglichkeit jenseits der Adoption eröffnen, die keine beteiligte Person zwingt, die Elternschaft aufzugeben. Samenspender und Leihmütter könnten auf diese Weise auch eine Möglichkeit erhalten ihre Elternschaft beizubehalten, wenn die Beteiligten dies wollen. Die Begrenzung auf vier hat praktische Gründe und ist in sofern willkürlich. Dennoch sollte man bei der Anzahl der Elternteile Schranken ziehen, da gerade im Konfliktfall immer wieder schwierig zu lösende Situationen entstehen können. Schon heute ist die psychische Belastung für Kinder, deren Eltern sich scheiden lassen, sehr hoch. Kommen mehr Elternteile ins Spiel, kann sich diese Belastung exponentiell vervielfachen. Hier müssen für die betroffenen Kinder Schutzmechanismen entwickelt werden. Zudem entstehen durch die Elternschaft immer gegenseitige unterhalts- und erbrechtliche Folgen. Gerade wenn die Elternteile z.B. im Alter auf die Unterstützung der Kinder angewiesen sind, wird diese Begrenzung auch zwingend sinnvoll. Die Vier-Eltern-Option stellt für den überwiegenden Teil der heutigen Fälle, bei denen das Zwei-Eltern-Modell ein Problem ist, eine ausreichende Lösung dar. Sollte die künftige Praxis wirkungsvolle Lösungen für die Probleme zeigen, ist eine Änderung oder Aufhebung der Begrenzung denkbar.
Wir halten es auch für sinnvoll, dass mindestens eine Elternschaft immer Kraft Gesetz eintritt. Hier entstehen zwar für den Fall einer Leihmutterschaft Schwierigkeiten. Eine Anerkennung auch der “Mutterschaft“, wie sie zum Beispiel das italienische Recht vorsieht oder eine Bestimmung der ersten Elternschaft durch die gebärende Person, birgt jedoch immer die Gefahr, dass ein Kind gänzlich ohne Verwandte ins Leben startet. Als Beispiel sei hier genannt, dass ein verheirateter gebärender Vater während der Geburt verstirbt. Müsste er erst die Elternschaft anerkennen oder bestimmen, wer Elternteil ist, hätte das Kind weder Eltern noch sonstige Verwandte.
Das Bundesverfassungsgericht hat zudem ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung entwickelt. Wir wollen diesem Grundrecht Rechnung tragen, jedoch auch Möglichkeiten schaffen, dass diese Elternschaft zwar Ausgangspunkt bleibt, ohne länger zentrale und fortwährende Basis der Verwandtschaft zu sein.
Änderungsanträge
Status | Kürzel | Zeile | AntragstellerInnen | Text | |
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angenommen | ÄH1-1 | 1 | Jusos Mittelfranken | Streiche bei den Antragsteller*innen “Antragsteller*innen: Juso-Landeskonferenz, Juso-Bundeskongress, SPD-Bundestagsfraktion“ und ergänze bei den Adressat*innen “Juso-Bundeskongress, SPD-Bundestagsfraktion“ | |
angenommen | ÄH1-2 | 82 | Jusos oberbayern | Streiche z 82 f: Streiche “samenspender“ bis “wollen“ | |
angenommen | ÄH1-3 | 94 | Jusos oberbayern | Streiche z 94 f:“hier entstehen“ bis “Schwierigkeiten“ |