Strafvollzug resozialisierender gestalten
Eine konsequente Reform des Strafvollzuges und dessen Neuausrichtung muss die Zwangsarbeit in Gefängnissen abschaffen. Häufig wird diese damit gerechtfertigt, dass die Arbeit eine wichtige Aufgabe zur Resozialisierung beitrage. Nicht nur scheint erzwungene Gefängnisarbeit – wie sie in fast allen Bundesländern immer noch erlaubt ist – anderen Maßnahmen zur Resozialisierung klar nachstehen, die Durchführung dieser ist meist auch nicht auf Basis wissenschaftlicher
Erkenntnisse, sondern lediglich aufgrund von fehlenden Alternativen begründet. Art. 12 Abs. 3 GG erlaubt explizit die “Zwangsarbeit ist […] bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung“. Wir wollen das Grundgesetz dahingehend ändern, dass Zwangsarbeit in Gefängnissen von den Ländern nicht mehr erlaubt werden darf.
Auch wenn das Bundesverfassungsgericht in seinen Urteilen zur Zwangsarbeit nach Art.12 Abs. 3 GG im Strafvollzug klargestellt hat, dass Pflichtarbeit im Strafvollzug nur dann möglich ist, wenn sie einen resozialisierenden Charakter hat und die geleistete Arbeit angemessen anerkannt wird, lehnen wir die grundsätzliche Möglichkeit der Zwangsarbeit als solche ab.
Ziel des Strafvollzugs muss eine nachhaltige Resozialisierung der Gefangenen sein. Dafür braucht es passgenaue Maßnahmen für jede*n Gefangene*n. Neben einer umfassenden Betreuung (z. B. Sucht– oder Schuldenberatung) ist auch die freiwillige Gefängnisarbeit eine der resozialisierenden Maßnahmen, die im Strafvollzug zur Verfügung stehen sollten. Dafür ist es jedoch notwendig, dass sich die Bedingungen für die Gefängnisarbeit verbessern.
Wie in Brandenburg und Rheinland–Pfalz fordern wir ein Recht auf Arbeit im Strafvollzug, da wir die resozialisierenden Vorteile der Arbeit anerkennen. Hierzu gehört nicht nur, dass die Arbeit den Gefangenen einen strukturierten Tag gewährleistet. Arbeit im Strafvollzug ermöglicht es zudem sich fortzubilden, ausgebildet zu werden, Geld zu erwirtschaften, die deutsche Sprache zu erlernen und soziale Kompetenzen in der Zusammenarbeit mit anderen Häftlingen zu erlernen. Gerade deshalb werden die Vorgesetzten der Häftlinge in die Entscheidung um Hafterleichterungen und Bewährung mit eingebunden.
Mindestlohn für Gefängnisarbeit
Für Arbeit im Gefängnis gilt das Mindestlohngesetz nicht, da es „allgemein anerkannt [ist], dass die Arbeit im Strafvollzug öffentlich–rechtlicher Natur ist, die Gefangenen nicht Arbeitnehmer sind und zwischen den Gefangenen und der Anstalt kein Arbeitsvertrag geschlossen wird“ (OLG Hamburg, Beschluss vom 18.09.2015 –3 Ws 1979/15 Vollz). Dies ist jedoch nicht mit unserem Verständnis davon ,dass Arbeit angemessen entlohnt werden muss vereinbar. Wir fordern daher auch einen Mindestlohn für Gefangene und darüber hinaus die gesetzliche Ausgestaltung eines eigenen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses zwischen Gefängnissen und ihre Insassen.
Eine Gefängnisstrafe besteht im Freiheitsentzug und nicht in der Herabwürdigung von Leistungen. Der durchschnittliche Monatslohn, den Gefangene für ihre freie Verfügung im Gefängnis erarbeiten, beträgt momentan ca. 180,00 €. Der Rest des Arbeitslohns wird auf ein sogenanntes “Ü–Konto” überwiesen und bei der Entlassung ausgezahlt. Von dem frei zur Verfügung stehenden
Geld kann das Leben im Gefängnis gerade so bestritten werden. Häufig sind hier die
Lebenshaltungskosten für Essen, Telefonieren und Genussmittel wesentlich höher als draußen. Es kann somit kein wirkliches finanzielles Polster für die Zeit nach der Haft angespart werden.
Mit der Einführung des Mindestlohns könnte daher zum einen eine finanzielle Grundlage für das Leben nach der Haft und zum anderen mehr Flexibilität im Leben vor Ort geschaffen werden, um sich mehr als einmal im Monat einen Anruf nach Hause leisten zu können. Darüber hinaus wird den Arbeitenden das Gefühl vermittelt, dass ihre Arbeit etwas Wert ist. Auch kann in diesem Zuge über eine Unterbringungspauschale nachgedacht werden, die von den Gefangenen monatlich gezahlt wird. Eine solche wird bis jetzt nur dann verlangt, wenn man nicht arbeitet.
Auch die gesetzliche Einführung eines eigenen Arbeitsverhältnisses würde zur Resozialisierung beitragen. Oft sehen sich Menschen, die lange inhaftiert waren oder mehrere kürzere Gefängnisstrafen in ihrem Leben verbüßen mussten einer drohenden Altersarmut ausgesetzt. Dadurch, dass sie in dieser Zeit nicht in die Rentenkassen einzahlen können, bleibt ihnen meist kein bis kein hoher Rentenanspruch. Dies begünstigt einen Rückfall in die Kriminalität. Durch die
Schaffung eines eigenen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses würde diesem
Szenario vorgebeugt werden und dem Menschen ein würdevolles Leben außerhalb des
Gefängnisses – auch im Alter – weiter ermöglicht. Um wieder ein vollwertiger Teil der Gesellschaft zu sein, ist dies für uns zwingende Voraussetzung.
Gefängnisgewerkschaften
Gefängnisgewerkschaften können nach unserer Auffassung einen wichtigen Teil zur
Resozialisierung beitragen. Die Schaffung bzw. das Zulassen von demokratischen Strukturen, die in einem gesetzlichen Rahmen eine Möglichkeit zur Petition an öffentliche Stellen haben, schafft bei den Häftlingen Vertrauen in die demokratische Gesellschaft. Die Zerschlagung gewerkschaftlicher Aktivitäten durch bspw. Verlegung von Funktionär*innen sollte daher verboten
werden bzw. gewählte Vertreter*innen einer Gewerkschaft in einer JVA eine ähnliche
Schutzwirkung eingeräumt werden wie bspw. Betriebsrät*innen in einem Unternehmen.
Wir erkennen die bestehende Möglichkeit der Wahl eines*einer Gefangenensprechers*in an, der*die im Rahmen der Gefangenenmitverantwortung anliegen an den Anstaltsleiter weitergeben kann an. Auch wenn der Gestaltungsrahmen der Gefangenenmitverantwortung gesetzlich nicht definiert ist und daher der Interpretation jeder einzelnen Anstalt unterliegt, kann dies ist ein sinnvolles Instrument sein, wenn es um das soziale Miteinander im Gefängnis geht. Bei einer echten resozialisierenden Arbeitsstruktur sehen wir aber klar die Notwendigkeit von Gefangenengewerkschaften, die sich ausschließlich auf die Arbeitsbedingungen konzentrieren können.
Umfassendere Begleitung und Betreuung in Haft
Wir fordern verstärkte finanzielle und psychologische Betreuung von Strafgefangenen während der Haft. Hierzu zählt Suchtberatung, Suchttherapie, Zugang zu Psycholog*innen und eine Schuldenberatung. Diese müssen als feste Vollzeiteinrichtungen in den Gefängnissen vorhanden sein.
Viele Straftäter*innen sind verschuldet. Dies hat zum Beispiel damit zu tun, dass vor der
Inhaftierung Kosten anfallen, die sie in Haft nicht mehr bedienen können oder durch
Unterhaltsansprüche, die nach der Haft fällig werden. Daher bedarf es einer finanziellen Beratung und Begleitung durch etwaige Privatinsolvenzen, damit nach der Haft ein unverschuldeter Start möglich ist.
Auch Menschen mit Suchtproblematiken müssen in Haft engmaschiger betreut werden. Der Mythos eines “guttuhenden, kalten Entzugs” ist weder gesundheitlich förderlich, noch entspricht er der Realität in der JVA. Menschen mit Suchtproblematiken müssen automatisch in ein entsprechendes Programm vor Ort aufgenommen werden und betreuten Zugang zu Substituten bekommen, um angeleitet die Sucht zu heilen. Gleiches gilt für Menschen mit psychischen Einschränkungen, bei denen die Betreuung ebenfalls eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Bei einer Teilnahme an einem längeren Programm muss zudem die Lohnfortzahlung gewährleistet sein.
Auch die Möglichkeit am familiären Leben teilzunehmen muss gewährleistet sein. Für uns besteht ein Recht darauf, seine Kinder oder Partner*innen regelmäßig zu sehen. Hierfür muss eine Zusammenarbeit zwischen Jugendamt, Schule und JVA bestehen. Besteht die Möglichkeit nicht – wie es jetzt häufig der Fall ist – belastet dies nicht nur Kinder und Partner*innen psychisch, sondern hat auch negative Auswirkungen auf die Psyche des*der Inhaftierten. Um an ein Familienleben nach der Haft anknüpfen zu können, muss ein solches auch in Haft zumindest eingeschränkt möglich sein.
Bessere Vorbereitung für das Leben nach der Haft
Wir fordern eine Institutionalisierung des Austausches zwischen den Gefängnissen und der Agentur für Arbeit. Aktuell besteht ein solcher nicht. Dies hat zur Folge, dass Freigelassene oftmals noch nicht im Sozialsystem gemeldet sind und erst Wochen später in der Lage sind, ALG II zu beantragen und zu beziehen. Ziel muss es sein, dass die finanzielle Versorgung der Freigelassenen vom ersten Tag an gewährleistet ist. Hierzu gehört auch, dass die Arbeitsplatzvermittlung bereits zeitnah vor der Entlassung eingeleitet werden muss. Ist die finanzielle Versorgung nicht gewährleistet, fördert dies einen Rückfall in die Kriminalität und Begünstigt Obdachlosigkeit. Bereits vor der Freilassung sollte zudem ebenfalls verpflichtend zusammen mit dem*der Bewährungshelfer*in nach einer geeigneten Unterbringung gesucht werden. Zudem sollte die Kommune, in der die Inhaftierung erfolgt ist, für die Erstunterbringung zuständig sein.
Strafvollzug neu denken
Da die viel zu hohen Rückfallquoten sehr anschaulich zeigen, dass der Strafvollzug in Deutschland seine abschreckende und resozialisierende Wirkung verfehlt, wollen wir die Gefängnisstrafe in Zukunft als solche kritischer in den Blick nehmen und andere Möglichkeiten des Strafvollzugs in Erwägung ziehen, die ein wirkliches Resozialisieren möglich machen können.