W3 Wirtschaft in der Krise

Status:
unbehandelt

Die deutsche Ökonomie hat im Zuge der Corona-Pandemie in den Krisenmodus geschaltet. Veranstaltungen wurden abgesagt, Geschäfte, Restaurants, Bars und Hotels geschlossen, Betriebe stellten die Produktion ein. Spätestens ab der Verkündung von Branchenschließungen war klar, dass das Coronavirus nicht nur das Gesundheitssystem einem Stresstest unterziehen wird, sondern auch eine Belastungsprobe für die Volkswirtschaft darstellt. Entsprechend verunsichert sind Märkte, Unternehmen, Haushalte.

Gesamtwirtschaftlich wirkt die Coronapandemie wie ein Angebotsschock mit nachgelagertem Nachfrageschock. Dabei ist ein angebotsseitiger Schock dadurch charakterisiert, dass er den produzierten Output verändert, und ein Nachfrageschock dadurch, dass er die nachgefragte Gütermenge beeinflusst.

Durch die erzwungene Einstellung wirtschaftlicher Aktivität, etwa durch Branchenschließungen, Ausfall von Zulieferbetrieben oder mangels Rentabilität, wurde die Gesamtwirtschaft angebotsseitig, das heißt auf der Seite der Unternehmen, einer harten Belastung unterzogen. Auswirkungen dieses Angebotsschocks waren nach kurzer Zeit zu spüren. Neben den unmittelbaren Folgen wie der Nichtverfügbarkeit von Kinderbetreuung, Kunst und Kultur, Restaurants und Friseurbesuchen, ergaben sich auch zahlreiche Langfristeffekte nach kurzer Zeit: Horden von Selbstständigen wurden in die Arbeitslosigkeit getrieben, Restaurants und Bars schlossen dauerhaft, große Unternehmen wie die Lufthansa gerieten in Schieflage, Millionenverluste entstanden im produzierenden Gewerbe durch den Ausfall von Lieferketten, Banken schienen plötzlich unsicher, weil ihre Kredite an Unternehmen und Haushalte auszufallen drohten. Bereits jetzt ist klar, dass die Pandemie unsere Wirtschaft nicht nur kurzfristig beeinflusst, sondern reale Konsequenzen für die Wirtschaftsstruktur langfristig haben kann.

Nachfrageseitig treten verzögerte Effekte auf, die allerdings bereits heute zu spüren sind und sich gegebenenfalls auch langfristig äußern werden. Neben einer Ansteckungsangst, die das Besuchen von Geschäften durch Nachfrager kurzfristig hemmt und eine Verschiebung der Nachfrage hin zu alternativen Angeboten, etwa Online-Händlern, bedeutete, hemmte das Virus implizit auch die Kaufkraft der Haushalte. Ein Anstieg der Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, weniger Neueinstellungen bedeuteten eine Kaufkraftabnahme der Haushalte und damit auch weniger Konsum. Durch gestiegene Existenzangst, etwa infolge einer höheren Angst vor Arbeitsplatzverlust, wird Konsum in die Zukunft verschoben und gespart. Zudem verschärft die Pandemie infolge der Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft die Abhängigkeit vom Krisenmanagement der importierenden Staaten: So mag eine Eindämmung der Ausbreitung des Virus in Deutschland zwar wünschenswert sein, eine ungezügelte Verbreitung in Ländern wie Frankreich, den USA, oder China kann langfristig allerdings ebenso realwirtschaftliche Konsequenzen für exportierende deutsche Unternehmen haben.

Genannte angebotsseitige und nachfrageseitige Effekte legen Schwachstellen der Wirtschaftsstruktur offen: Ein hastiges Ausschütten von Dividenden durch Unternehmen und die damit verbundene geringere Haltung von Sicherheiten machen Unternehmen krisenanfällig und führen schneller zu kurzfristigen Liquiditätsausfällen. Eine zu sehr am Export orientierte Wirtschaftsstruktur schafft unkontrollierbare Abhängigkeiten vom Krisenmanagement im Ausland.

Fehlende Absicherungsmaßnahmen für Selbstständige führen zum Untergang diverser freier Tätigkeiten. Die Unmöglichkeit, Mietzahlungen für Gewerbeimmobilien im Krisenfall auszusetzen treibt Geschäfte, Bars, Restaurants und Gewerbe in den Ruin. Mangelnde Einflussmaßnahmen des Staates verhindern eine rapide Umstellung der Wirtschaft hin zur Produktion von wesentlichen Gütern, etwa Masken, Medikamenten, Schutzkleidung oder medizinischen Gütern. Zu geringer Arbeitnehmer*innenschutz führt strukturell zu hoher Arbeitslosigkeit unter ehemaligen Geringverdiener*innen und Leiharbeiter*innen, mangelnder Ausbildungszwang zum Abbau von Ausbildungsplätzen. Dies alles gilt es langfristig zu korrigieren.

Im Folgenden unterscheiden wir zwischen kurzfristigen Maßnahmen zur Stabilisierung von Wirtschaft und Konsum, und langfristigen Maßnahmen, die die deutsche Ökonomie künftig weniger krisenanfällig machen.

Kurzfristige Konjunkturmaßnahmen

Die Bundesregierung hat verstanden, dass auf die Corona-Pandemie mit einem angemessenen Hilfspaket schnell reagiert werden muss. Sie beschloss zunächst ein Hilfspaket, dem folgte ein Konjunkturpaket.

Die staatliche Absicherung von krisenbedingten Risiken über einen Schutzschirm hat oberste Priorität im unmittelbaren Krisenmanagement, da sie Kosten solcher Krisen erheblich senken kann. Private Haushalte profitieren unmittelbar durch Risikoabsicherung, etwa durch Sozialleistungen wie Kurzarbeiter*innengeld. Unternehmen werden durch Schutzschirme vor der Insolvenz bewahrt. Beide Seiten sind von erheblicher Bedeutung in der Eindämmung einer Wirtschaftskrise, da sie die Ausbreitung von Krisenfolgen hemmen und damit den Absturz der Ökonomie und deren Auswirkungen auf Unternehmen und Haushalte abfedern.

Das Hilfspaket setzte mit der Ausweitung des Kurzarbeiter*innengelds, mit einem Hilfsprogramm für Selbstständige sowie mit umfassenden Unternehmenshilfen sicherlich richtige Akzente, auch wenn umfassendere Unterstützungsmaßnahmen gerade im Bereich des Kurzarbeiter*innengelds durch Mindesthöhe, des Arbeitslosengelds sowie im Umgang mit den Anträgen auf ALG-Bezug wünschenswert gewesen wären. Allerdings ist ein Schutzschirm immer erst der erste Schritt in der Bewältigung einer Krise und darf als Anfang einer wirtschaftspolitischen Antwort auf die Coronakrise verstanden werden. Er federt Einkommensverluste ab und verhindert so die selbstverstärkenden Effekte von Krisen. Und er hält Unternehmenspleiten auf, die ansonsten in der Fläche noch verheerende Wirkungen gehabt hätten. Allerdings ist ein Schutzschirm in aller Regel nicht ausreichend, um eine Ökonomie aus der Krise zu manövrieren. Er kann private Einkommensverluste nicht vollständig kompensieren und Unternehmenspleiten nicht vollständig verhindern. Zudem kann er Verunsicherung durch die Pandemie nicht vollständig aufheben, und auch Konsumverhaltensänderungen nicht vollständig zurücknehmen. Er konnte aber den Absturz der Wirtschaft auffangen und einen harten Aufprall verhindern, weshalb der Begriff Schutzschirm auch bildlich Sinn macht.

Ein Schutzschirm schafft aber keinen Auftrieb. Um eine Wirtschaft aus einer Krise zu manövrieren, braucht es neben den Sofortmaßnahmen zusätzlichen Anschub, der sich letztlich in einem Konjunkturpaket finden muss. Klassische Keynesianer formulieren als Antwort auf Krisen ein Maßnahmenpaket, das auf die Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage abzielt, wobei der Fokus auf dem privaten Konsum liegt. Haben Haushalte mehr Kaufkraft, dann geben sie dieses aus und helfen somit unmittelbar der Wirtschaft. Zudem ist der private Konsum die größte Komponente in der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, jedoch nicht die einzige; öffentliche und private Investitionen sind hier ebenso erheblich.

Zur Finanzierung eines Konjunkturpakets ebenso wie zur Deckung von Einnahmeausfällen infolge der Pandemie sollten zunächst Nettokredite durch den Bundeshaushalt aufgenommen werden. Ein gutes Konjunkturprogramm muss also durch eine expansive Finanzpolitik begleitet werden, damit es seine volle Wirkung entfalten kann. Sparmaßnahmen an anderen Stellen sowie Steuererhöhungen in Krisenzeiten bergen die Gefahr, Konjunkturimpulse im Keim zu ersticken. Dies verdeutlicht, dass die Politik der schwarzen Null in Krisenzeiten an ihre Grenzen stößt. Ein ausgeglichener Haushalt als Doktrin der Finanzpolitik mag in wirtschaftlich guten Zeiten nicht stören, in Krisenzeiten hingegen hemmt ein solches Dogma die Reaktionsfähigkeit des Staates und birgt die Gefahr, Effekte von Krisen mangels staatlicher Interventionsfähigkeit zu verstärken und Krisen laufen zu lassen. Es ist nicht generationenungerecht, ein Krisenpaket auf Pump zu finanzieren, wenn die Maßnahmen Schäden von Wirtschaft und Gesellschaft abwenden. Stattdessen können zukünftige Generationen von solchen Maßnahmen profitieren, etwa weil die Krise ohne staatliche Intervention deutlich teurer geworden wäre, oder weil langfristige Wachstumseffekte solcher Pakete stark sind. Krisen sind Situationen, in denen Neuverschuldung den Wohlstand künftiger Generationen verbessern kann.

In keynesianischer Manier setzt das staatliche Konjunkturpaket insbesondere auf Konsumanreize, etwa durch die temporäre Senkung der Mehrwertsteuer, durch Pauschalzahlungen an Familien, durch Erhöhung der Entlastungsbeiträge für Alleinerziehende, durch Deckelung der Sozialversicherungsbeiträge, durch Kaufprämien für E-Autos.

Gleichzeitig werden angebotsseitig Ausbildungsstellen durch Ausbildungsprämien erhalten, Kulturstätten werden mittels Hilfsprogramm gestützt, finanziell bedürftige Unternehmen werden durch Fixkostenzuschüsse und Überbrückungshilfen entlastet. Abschreibungen werden erleichtert, Verlustrückträge ausgeweitet.

Städte und Gemeinden werden durch Übernahme von Kosten durch den Bund gestärkt, etwa bei der Unterbringung von Sozialleistungsbezieher*innen, Gewerbesteuerausfälle werden kompensiert. Der ÖPNV wird bezuschusst.

Als Zukunftsinvestitionen des Bunds sind der Ausbau der E-Auto-Ladeinfrastruktur, das Investitionsprogramm in Wasserstoff-Technologie, zusätzliche Investitionen im Bereich Digitalisierung und Infrastruktur zu verbuchen.

Zweifelsohne ist mittels Konjunkturpaket eine wirtschaftliche Stimulation plausibel. Zweifelsohne liegt der Fokus des Konjunkturpakets auf keynesianischer Nachfragestimulierung. Und zweifelsohne werden Investitionen in Zukunftstechnologien wie Wasserstoff auch ihre Spuren im Wirtschaftssystem hinterlassen, so sie denn langfristig forciert werden. Allerdings finden im Rahmen des Konjunkturpakets auch zahlreiche Luftbuchungen statt, bei denen ohnehin geplante Maßnahmen zu Konjunkturmaßnahmen umetikettiert werden.

Mit der Fokussierung auf kurzfristige Konsumanreize läuft die Bundesregierung jedoch auch Gefahr, lediglich ein Strohfeuer zu entfachen und Chancen bei der Transformation der Wirtschaft liegen zu lassen. Bereits vor Ausbruch des Coronavirus war es nahezu allen politischen Akteuren klar, dass das deutsche Wirtschaftssystem nachhaltiger werden muss, damit etwa Klimaziele erreicht werden und wir unsere Umwelt nicht unwiderruflich zerstören. Krisen bringen immer disruptive Elemente mit sich, die eine Umgestaltung der Wirtschaft leicher ermöglichen. In dieser Hinsicht war die Pandemie eine Chance: Wenn ohnehin Steuergeld in großem Umfang ausgegeben wird, dann kann dieses nicht nur zur kurzfristigen wirtschaftlichen Stimulation genutzt werden, sondern auch eine Lenkungswirkung bei Konsum sowie eine transformatorische Wirkung auf die Wirtschaft haben. Wenn wir bereits viel Geld ausgeben, warum dann nicht für den Umbau hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft, für eine reale Verkehrswende, für Bildung, für öffentliche Infrastruktur?

Mittelfristig mit einem Innovationspaket aus der Krise kommen

Der Umfang an Investitionsmaßnahmen, die einen konkreten Einfluss auf die Transformation einer Ökonomie haben können, ist im Konjunkturpaket mit 50 MRD EUR relativ gering. Jedoch spricht viel dafür, dass öffentliche Investitionsmaßnahmen sowohl konjunkturelle Impulse setzen können, als auch die Wirtschaft nachhaltig verändern.

Einerseits spricht empirische Evidenz für einen erheblichen konjunkturellen Impuls von öffentlichen Investitionsausgaben gerade in Krisen. Ferner ist Deutschland hinsichtlich Bonität gut auf ein großes Ausgabenpaket vorbereitet. Drittens sind Investitionen im Gegensatz zu Konsum werterhaltend. Viertens schaffen öffentliche Investitionen sichere Aufträge für Unternehmen, die gerade in Krisenzeiten benötigt werden. Und fünftens wird privater Konsum gegenwärtig weiterhin durch Restriktionen und Angst gehemmt, während öffentliche Investitionen nahezu reibungsfrei umgesetzt werden können.

Bereits vor der Krise stand fest, dass sich die deutsche Volkswirtschaft nachhaltiger entwickeln muss, um die Klimaziele zu erreichen und einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen. Für eine solche sozial-ökologische Transformation braucht es eine gut ausgebaute öffentliche Infrastruktur als notwendige Voraussetzung. Ferner sind in Krisenzeiten die Opportunitätskosten einer solchen großen Transformation geringer. Beispielsweise werden in den nächsten Monaten zahlreiche Unternehmen nicht voll ausgelastet sein, sodass diese bspw. ihre Anlagen auf umweltfreundlichere Technologien umrüsten können.

Eckpfeiler eines staatlichen Innovationspakets listen wir im Folgenden ohne Anspruch auf Vollständigkeit auf

Umbau der Energiewirtschaft

Während aktuell die deutsche Volkswirtschaft in der Energieerzeugung wesentlich von fossilen Brennstoffen abhängt, braucht eine nachhaltige Wirtschaft langfristig notwendigerweise Emissionsneutralität. Hierzu bedarf es eines umfassenden Umbaus der Energiegewinnung.

Kernpunkt eines staatlichen Innovationspakets muss daher der Ausbau erneuerbarer Energien sein. Denkbar wäre etwa mittels massiver öffentlicher Investitionen einen staatlichen Energiekonzern aufzubauen, der sich auf die Energieerzeugung aus regenerativen Energien spezialisiert. Mittels großer staatlicher Windparks, insbesondere im Offshore-Bereich, einem Flächenausbau der Windkraftanlagen, Solarkraftwerken, sowie der Schaffung von

Speichermöglichkeiten macht der Staat die Erreichung von Klimazielen nicht vom Gutdünken der Privatwirtschaft abhängig, sondern treibt die Energiewende selbst aktiv voran. Zusätzlich hat er mehr Gewalt über Strompreise. Vorbilder können skandinavische Staaten sein, in denen staatliche Akteure bereits heute bei der Energiewende eine zentrale Rolle einnehmen.

Stärkung der Infrastruktur

Infrastrukturell weißt Deutschland im internationalen Vergleich ein erhebliches Defizit auf:

Schlechte Bahnnetze, mangelnder ÖPNV, langsames Internet dienen hierbei als Beispiele. Ein Innovationspaket muss zwingermaßen die Infrastruktur Deutschlands verbessern, die maßgeblich ist für die Transformation der Wirtschaft. Zentral sind hierbei der Ausbau des Bahnnetzes, wobei hier ebenso auf die bessere Taktung und höhere Frequentierung von Ballungszentren wie auch auf eine bessere Anbindung und Verfügbarkeit im ländlichen Raum zu achten ist. Ebenso wichtig ist der Ausbau öffentlicher und CO2-sparsamer Verkehrsmittel im städtischen Milieu, etwa durch den Aus- und Aufbau von U-, S-, und Trambahnen, durch bessere Busnetze mit CO2-neutralen bzw.

sparsamen Technologien. Für eine Transformation der Mobilität ist der Aufbau einer passungskonformen Ladeinfrastruktur für E-Autos ebenso bedeutend wie ein Umbau des Güterverkehrs auf die Schiene sowie die Forschung und Entwicklung neuer Antriebsmöglichkeiten für LKWs, respektive durch Strom oder Wasserstoff. Der Ausbau digitaler Infrastruktur muss, gerade im Hinblick auf die Arbeit der Zukunft, so gestaltet werden, dass sämtliche Haushalte mit schnellem Glasfasernetz versorgt werden können. Wärmeinfrastruktur in Städten, etwa durch Gasnetze, Abwärme, etc. müssen ausgebaut werden, um Energie effizienter nutzbar zu machen und CO2-schonendere Alternativen zur Ölheizung anzubieten.

Aufbau eines öffentlichen Wohnungsmarkts

Während die Mieten in den Ballungszentren bereits vor einigen Jahren aus dem Ruder liefen und Metropolen sich mittlerweile durch ein Verdrängen von Haushalten mit geringen bis mittleren Einkommen auszeichnen, stieg in den vergangenen Jahren auch im ländlichen Raum teilweise die Miete erheblich an. Hinzu kommen hohe Kosten für den Erwerb von Grundstücken, die den Neubau von Immobilien hemmen. Diese Entwicklung wurde mit verursacht durch einen Rückzug des Staates vom Wohnungsbau, sodass verknappte Angebote an Immobilien Preise rapide ansteigen ließen.

Eine Möglichkeit, dieser Entwicklung entgegen zu wirken, ist der Aufbau eines umfassenden, staatlichen Wohnungsmarkts. Städte wie Wien zeigen eindrucksvoll, wie heterogener Wohnungsmarkt, mit sozial durchmischten Quartieren anstelle von Reichenvierteln, funktionieren kann. Zwingend bedarf es hierfür eines aktiven Staates, der in den Bau und den Erwerb von Wohnraum investiert.

Ein Innovationspaket, welches sich zum Ziel setzt, einen erheblichen Teil des Wohneigentums in staatlicher Hand zu halten, kann sozial gerechtere Mieten durchsetzen und dem ungezügelten Privatmarkt Einhalt gebieten.

Überführung von Schlüsselbranchen in staatliche Hand

Zahlreiche Fehlentwicklungen im Privatsektor werden in der Coronakrise offensichtlich: Ein durchprivatisiertes Gesundheitssystem kommt mit Pandemien nur unzureichend klar.

Pflegeeinrichtungen funktionieren mangels Personal nur unzureichend. Kritische Infrastruktur, wie Energieversorger, Verkehrsunternehmen u.Ä. können bei Ausfall verheerende Schäden für die Gesamtwirtschaft und die öffentliche Daseinsvorsorge bedeuten. Daher ist über eine Rückführung kritischer Infrastruktur in staatliche Hand nachzudenken.

Insbesondere Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Infrastruktur wie Straßen, Netze und Energieversorgung, Telekommunikation sowie große Verkehrsunternehmen u.Ä. stellen zwingend notwendige Dienstleistungen bereit, deren Ausfall sich eine Ökonomie nicht leisten kann. Werden sie zu sehr auf die Ausschüttung von Gewinnen gedrängt, wie etwa im Kranken- und Pflegesektor, sowie auch im Falle der Lufthansa, so sind sie in Krisen nicht robust und brechen zusammen.

Um einen solchen Zusammenbruch zu verhindern, sollten kritische Unternehmen und Branchen dem freien Wettbewerb entzogen werden. Eine Überführung in staatlichen Besitz ist daher anzudenken. Dies gilt auch für kritische Verkehrsunternehmen wie die Lufthansa, deren Transformation hin zu einem ökologischen Luftfahrtriesen ohne staatliche Übernahme undenkbar scheint.

Investitionen in Bildung und Forschung

Schulen, Hochschulen und Universitäten haben im Verlauf der Pandemie verdeutlicht, dass sie mangels Personalausstattung nur unzureichend reagieren können. Im Homeschooling wurde ein zu geringer Betreuungsschlüssel ebenso deutlich wie bei der Unmöglichkeit, an Hochschulen große Präsenzprüfungen etwa durch Seminararbeiten zu ersetzen. Grund hierfür ist eine unzureichende Finanzierung des öffentlichen Bildungs- und Forschungssektors, der es entgegen zu wirken gilt.

Mit einem Innovationspaket für Schulen können diese auf bessere Betreuung eingestellt,  Ganztags- und Gesamtschulsysteme etabliert werden. Gleichzeitig sollten sie technisch und infrastrukturell auf den Stand der Zeit gebracht werden. Gleiches gilt für Hochschulen, an denen ebenso Personalknappheit wie auch technische Überalterung vorherrschen. Denkbar wäre hier ein Maßnahmenpaket zur deutlichen Erhöhung der Zahl der Lehrstühle und wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen, gepaart mit der Verbreiterung der Hochschullandschaft im ländlichen Raum.

Langfristig die Wirtschaft umbauen

Neben den kurzfristigen und mittelfristigen Maßnahmen aus der Krise muss auch überdacht werden, wie wir künftig derart dramatische Abstürze der Wirtschaft verhindern können. Es zeigt sich, nicht nur im Rahmen der Coronakrise, sondern auch in den Wirtschaftskrisen davor, dass der Kapitalismus in Zeiten extremer Ereignisse nicht funktioniert, weil Gewinne kurzfristig abgeschöpft und Verluste langfristig vergesellschaftet werden. Rettete der Staat in der Finanzkrise gestern noch Banken, so rettet er heute Luftfahrtunternehmen und morgen vielleicht Bauunternehmen und Chemiekonzerne.

Gleichzeitig offenbart die Krise auch, dass der Kapitalismus geneigt ist, sie auf dem Rücken sozial schwächerer Personen auszutragen. Personen in Minijobs und Leiharbeiter*innen sowie Menschen ohne Gewerkschaftsbindung waren die vordergründig am stärksten betroffenen Gruppen im Sektor der Arbeiter*innen. Hier muss ein reformistischer Ansatz anpacken und die Rechte der betroffenen Gruppen stärken.

Auch zeigt ein exportlastiges System in globalen Krisen seine Schwächen: So macht sich die Bundesrepublik durch die Exportüberschüsse abhängig vom Krisenmanagement im Ausland, etwa den USA, China und Frankreich, und hat damit die Fäden der eigenen Wirtschaftsprosperität nicht länger in der Hand. Ein Abbau der Exportabhängigkeit ist damit notwendiges Ziel langfristiger Wirtschaftspolitik. Weniger Exportüberschüsse und mehr Binnenkonsum sind zwei Seiten derselben Medaille, und höhere Löhne sind das notwenige Mittel zum Abbau dieser Abhängigkeiten.

Zuletzt stellt sich die Frage der staatlichen Refinanzierung. Während heute Schulden aufgenommen werden, müssen langfristig ausgeglichene Haushalte erzielt werden, die refinanziert sein wollen. Insofern muss über ein sozial gerechtes Steuer- und Abgabensystem nachgedacht werden.

Eckpfeiler dieser Langfristmaßnahmen skizzieren wir im Folgenden.

Hin zu Arbeiter*innenunternehmen

Während im Manchesterkapitalismus unternehmerische Risiken noch bei Einzelpersonen lagen, werden Risiken heute immer stärker auf die Belegschaft abgewälzt. Schlechtere Arbeitnehmer*innenrechte führen zu schnelleren Entlassungen in Krisenzeiten, Leiharbeit erleichtert flexible Belegschaftsführung. Damit schwindet das unternehmerische Risiko auf Seiten der Kapitalist*innen, und wird übertragen auf die Gruppe der abhängig Beschäftigten. Gleichzeitig werden geringe Risikorücklagen gebildet und Unternehmensgewinne, gerade bei großen Unternehmen, rapide ausgeschüttet. Die Folge ist eine Orientierung am Profit heute, anstelle einer Optimierung des Unternehmens auf die lange Sicht. Dies ist sowohl aus gesamtwirtschaftlicher Betrachtung, als auch hinsichtlich des langfristigen Unternehmenserfolgs, suboptimal.

Dem ungezügelten Streben nach Gewinn heute muss von systemischer Seite Einhalt geboten werden, indem kapitalistische Wirtschaftsmechanismen durchbrochen werden. Dabei macht es Sinn, Unternehmen dorthin zu überführen, wo sie von verlässlicher Stelle und mit einem Interesse an langfristigen Erfolgen geführt werden, nämlich in die Hand der Arbeiter*innen.

Entsprechend muss die Politik darauf hinarbeiten, dass Unternehmen langfristig in die Hände der Belegschaften überführt werden, um sie nicht länger dem kurzfristigen Dogma der Gewinnausschüttung zu unterwerfen. Nachhaltige Investitionen, ein sicherer Geschäftsplan sowie ausreichende Risikorückstellungen sichern den Erfolg von Unternehmungen und sind mit einer kurzfristigen Gewinndoktrin nicht vereinbar.

Arbeiter*innenrechte stärken

Insbesondere durch die Agenda-Politik wurde die Macht der Arbeiter*innen gegenüber Unternehmen geschwächt: Schwächere Absicherung durch geringfügige Beschäftigung führten zu leichteren Entlassungen, ebenso wie die Deregulierung der Leiharbeit. Gleichzeitig führte die Etablierung von ALG2 und geringe Bezugsdauern von ALG1 defacto zu einer Absenkung der

Reservationslöhne für Arbeiter*innen und in der Konsequenz zu einer höheren Bereitschaft, schlechtere Jobs zu akzeptieren. Dem folgte eine Unternehmenspolitik, die es möglich machte, Risiken auf die Arbeiter*innen abzuwälzen. Gerade in Krisenzeiten führt eine solche Politik zur Spaltung der Beschäftigten und zu einer Überbelastung von sozial Schwächeren.

Politisches Ziel muss es daher sein, die Arbeiter*innenseite zu stärken. Etwa durch höhere Mindestlöhne, respektive größer 14 EUR pro Stunde um armutsfest zu sein, Abschaffung von Minijobs, Re-regulierung von Leiharbeit, Stärkung der Gewerkschaften etwa durch Flächentarifverträge, und mehr betriebliche Mitbestimmung. So können letztlich auch höhere Löhne durchgesetzt werden, die Binnenkonsum ankurbeln und Exportabhängigkeiten reduzieren.

Exportabhängigkeit reduzieren

Hohe Außenhandelsüberschüsse bedeuten, dass mehr Güter exportiert werden, als sie importiert werden. Dauerhaft bedeutet dies, dass sich die Masse an beschäftigten Menschen in einer Volkswirtschaft die eigenen Güter (oder deren Substitut in Zahlungsmitteln) nicht leisten kann.

Die Exportstärke Deutschlands kann auch als Binnenkonsumschwäche interpretiert werden: Das Ausland kauft die Güter, weil sie am heimischen Markt nicht bezahlt werden können.

Eine solche Exportabhängigkeit ist langfristig problematisch. Einerseits, weil sie immer mehr hypothetische Forderungen ins Ausland aufbaut, die nicht bedient werden können. Andererseits, weil Arbeiter*innen deutlich mehr Wert produzieren, als sie letztlich kaufen können, und Nettoinvestitionen durch Unternehmen ausbleiben.

Um die Exportabhängigkeit abzubauen muss im Wesentlichen der heimische Binnenkonsum gestärkt werden. Dies wird einerseits erreicht über eine Verschiebung der Primärverteilung hin zu höheren Löhnen, und andererseits durch ein Verändern der Sekundärverteilung hin zu einer geringeren Belastung geringer und mittlerer Einkommen (vgl. unten).

Steuersystem umbauen

Die Politik der letzten Jahrzehnte reformierte schleichend unser Steuersystem:

Unternehmensbesteuerung, etwa die Körperschaftssteuer, wie auch Steuern auf Kapital, etwa die Abgeltungssteuer, wurden sukzessive so gestaltet, dass Unternehmen und Kapital weniger Anteil am Gesamtsteueraufkommen haben. Gleichzeitig tragen Konsumsteuern wie die Mehrwertsteuer sowie Lohnsteuern einen erheblich höheren Anteil zum Steueraufkommen bei. Entsprechend verschob sich die Steuerlast weg von Unternehmen und Kapitalist*innen hin zu den Privathaushalten, also insbesondere hin zu Arbeiter*innen.

Diesen Trend gedenken wir mit einer umfassenden Steuerreform umzukehren.

Eine sozial gerechtere Einkommenssteuer umfasst höhere Freibeträge, um geringe Einkommen zu schonen, und steigt anschließend stärker an und auf ein höheres Niveau, um größere Einkommen stärker zu belasten. Wir forcieren ein Einkommenssteuersystem, bei dem Freibeträge in Höhe von 60% des Medianeinkommens eingeräumt werden. Ab diesem Einkommen beginnt die Steuer mit einem Eingangssteuersatz von 25%. Der Spitzensteuersatz wird beim Doppelten des Medianeinkommens erreicht und liegt bei 60%. Damit entlasten wir Einkommen unterhalb von 72.000 EUR p.a. und belasten Einkommen darüber.

Zudem wollen wir Kapital stärker besteuern, indem wir die Quellensteuer auf Zinsen und Dividenden abschaffen und entsprechende Einkommen mit dem individuellen Grenzsteuersatz besteuern.

Die Körperschaftssteuer wollen wir deutlich anheben, auf ein Niveau jenseits von 25%, etwa bei 30%, um Unternehmen stärker an der Finanzierung der Staatsausgaben teilhaben zu lassen.

Mittels einer Finanztransaktionssteuer wollen wir Spekulationen an der Börse eindämmen. Wir forcieren eine Finanztransaktionssteuer im Umfang von 0,1% auf Transaktionen von Aktien, Anleihen, und nicht derivative Finanzprodukte. Derivate sollen mit 0,01% besteuert werden.

Zum Zweck der Umverteilung etablieren wir eine Vermögenssteuer mittels Freibetrag im Umfang von 360.000 EUR. Ab diesem Einkommen steigt die Vermögenssteuer mit Eingangssteuersatz 0,2% linear an auf 1% bei 1.000.000 EUR. Weiterhin steigt die Vermögenssteuer linear an auf 2,5% bei 5.000.000 EUR. Selbstgenutztes Wohneigentum wird nicht mit einbezogen.

Die Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer) wollen wir umfassender reformieren, als dies bisher bei der temporären Senkung der Fall ist. Wir intendieren eine Unterscheidung zwischen Gütern des Grundbedarfs, Alltagsgütern, und Luxusgütern. Erstere werden nicht besteuert, zweitere pauschal mit 5%, Luxusgüter mit 20%.

Hinsichtlich der Erbschaftssteuer wollen wir Freibeträge im je nach Verwandtschaftsgrads festlegen. Diese liegen beim einfachen Des Medianjahreseinkommens für nicht verwandte Personenn, beim Dreifachen für entfertere Verwandte und beim Fünffachen des Medianeinkommens für nahe Verwandte. Oberhalb der Freibeträge soll Erbe mit dem individuellen Einkommenssteuertarif besteuert werden. Dabei soll die Steuerschuld über zehn Jahre geglättet werden können. Für das Vererben von Firmen sind Sonderregeln notwendig.