INI1 Nun ist es kalt, trotz alledem, trotz SPD und alledem!

Status:
angenommen

Am 4. September hat die Bundesregierung das 3. Entlastungspaket präsentiert. Wir wollen einerseits die darin enthaltenen Punkte kritisch einordnen und andererseits beschreiben, wieso Maßnahmen, die nicht zur Verbesserung der Lebensrealitäten der arbeitenden Menschen führen, sondern lediglich die schlimmsten Verwerfungen abzuwenden versuchen, niemals unseren Ansprüchen genügen können.

 

Wenn es um die Verbesserung der Lebensrealitäten, gerade der arbeitenden und sich in prekären Situationen befindlichen Menschen geht, war das 9-Euro-Ticket ein fundamentaler Paradigmenwechsel. Hier ist die vorgeschlagene Anschlusslösung für knapp 1,5 Mrd. Euro nicht ausreichend, um Menschen aktiv zu entlasten und Mobilität bei steigenden Preisen dauerhaft zu gewährleisten. Egal ob 49 oder 69 Euro, die meisten Sozialtickets der Kommunen sind bereits heute billiger. Es ist richtig, das sich die Menschen an einen höheren Mobilitätsstandard durch das 9-Euro-Ticket gewöhnt haben. Diesen Umstand wollen wir gar nicht  kritisieren, denn er stellt einen bedeutenden Schritt hin zu garantierter Mobilität als Grundrecht dar. Erkämpfte Erfolge, Ziele, welche den Menschen schon einmal als erreichbar vergegenwärtigt wurden, geben wir nicht so einfach auf. Wir wollen nicht nur die Fortführung des 9-Euro-Tickets, sondern den ÖPNV kostenlos gestalten.

 

Mit dem 9- Euro-Ticket ist auch der Tankrabatt ausgelaufen. Dieser stand viel in der Kritik. Von ihm findet sich auch keine Spur mehr im neuen Entlastungspaket der Bundesregierung. Der Tankrabatt konnte nur beschränkt Wirkung entfalten und vor allem auch diejenigen überproportional entlasten, die mehr als nur ein Auto besitzen und außerdem dabei noch möglichst viel Kraftstoff verbrauchen. Jedoch ist spätestens seit dem Auslaufen am 1. September klar, er hat die Pendler:innen speziell in schlecht angebundenen Regionen dennoch um gut 20 Cent pro Liter entlastet. Wir wollen hier eine zielgerichtete Maßnahme, die speziell die Menschen entlastet, die auf ihr Auto angewiesen sind, sei es aufgrund fehlender ÖPNV-Strukturen oder aufgrund von Arbeitszeiten außerhalb der normalen Fahrpläne. Hier fordern wir speziell einen Spritpreisdeckel  wie wir ihn auf unserer Frühjahrslandeskonferenz 2022 mit dem Antrag “Deckel Drauf!” beschlossen haben. “Hier schlagen wir vor, den generellen deutschen Handelspreis zu regulieren, analog auch wieder, bis Preisschocks aufgrund der Ressourcenabhängigkeit von Russland als gelöst betrachtet werden können.” Flankiert werden soll diese Maßnahme dadurch, dass die Übergewinnsteuer speziell auch für Mineralölkonzerne greift und hartes kartellrechtliches Durchgreifen.  Um den Energieverbrauch im Autoverkehr signifikant zu senken, fordern wir ein Tempolimit auf den Autobahnen, sowie zumindest Sonntagsfahrverbote in Betracht zu ziehen, spätestens wenn zwischen Energienutzern priorisiert werden muss.

 

Ein großer Fehler ist der Regierung  jedoch beim Eingriff in den Energiemarkt unterlaufen. So soll ein Strompreisdeckel zwar den Anstieg des Strompreises zügeln, die Hauptbelastung für viele Haushalte durch die teilweise um mehr als das Sechsfache gestiegenen Gaspreise bleiben aber und drohen sich noch weiter zu steigern. Es reicht anscheinend nicht aus, dass 40% der Bevölkerung unlängst angegeben haben, sich an Energiedemonstrationen beteiligen zu wollen oder dass 60% der Bevölkerung Ersparnisse dafür aufwenden müssen, um ihre Energiekosten zu decken. Für uns ist klar: Wir tragen unseren Protest gegen die unzureichende Absicherung der Bevölkerung durch die Bundesregierung auf die Straße! Wir beteiligen uns am Aufbau eines linken Protestes gegen lauwarme Maßnahmen, die allein auf die Lebensrealität von Mittel- und Oberschicht ausgelegt ist. Wir stellen uns damit frühzeitig gegen eine Vereinnahmung dieser Krise von Rechtsradikalen, Neonazis und Verschwörungsideolog*innen und kämpfen für eine Bewegung, die im Geiste von Solidarität, Demokratie und der Forderung nach dem guten Leben für alle protestiert!  Wir wollen daher einen Gaspreisdeckel, so wie ihn die Ökonom:innen Sebastian Dullien und Isabell Weber schon Anfang des Jahres vorgeschlagen haben und wir als Jusos Bayern auch auf unserer Frühjahrslandeskonferenz 2022 beschlossen haben. Dieses Modell besagt den Grundbedarf pro Haushalt auf maximal 7,5 ct pro KhW Verbrauerbreis zu deckeln. Der gedeckelte Grundbedarf soll sich nach dem erhobenen durchschnittlichem Verbrauch in den letzten Jahren richten und die Anzahl der Personen pro Haushalt berücksichtigen.

 

Wir begrüßen zwar, dass nach einiger unnötig verstrichener Zeit nun endlich auch Rentner:innen und Studierende mittels Direktzahlungen entlastet werden sollen, es stellt sich allerdings für uns die Frage, warum Studierende und Azubis nur mit 200€ entlastet werden. Uns sind zumindest bislang keine studentischen Energieverträge bekannt, die um 100€ günstiger wären als die der restlichen Bevölkerung. Junge Menschen werden damit abermals übergangen und Familien überproportional zur Kasse gebeten. Wir fordern: Das Bafög muss unverzüglich für alle geöffnet und zu einem elternunabhängigen Vollzuschuss umgewandelt werden. Zudem muss es um mindestens 200€ erhöht werden, fast die Hälfte davon dient allein dem Inflationsausgleich. Auch muss die Mindestvergütung für Auszubildende endlich auf den dann um 200€ erhöhten Bafög-Höchstsatz auf 1.134€ angepasst werden! Die Mindestlohnausnahmen für junge Menschen sind zudem abzuschaffen. Die Energiepreispauschalen müssen für alle ohne Ausnahme 300€ betragen.

 

Wir kommen auch nicht umhin, über die Lohnentwicklung zu sprechen. Die Reallöhne stagnieren in den meisten deutschen Beschäftigungsfeldern seit den 90ern. Dies trägt zum Teil dazu bei, dass gerade viele berufstätige Menschen ihre Lebenshaltungskosten nicht mehr begleichen können. Die steuerfreie Einmalzahlung von bis zu 3000€ ist nett gemeint, läuft aber Gefahr, die Tabellenerhöhungen in anstehenden Tarifrunden massiv zu torpedieren. Hier kann es kaum eine kurzfristige Lösung geben. Daher geht es vor allem darum, jetzt schnell Schritte einzuleiten, um Gewerkschaften die Organisation zu erleichtern und die Durchsetzung von Tarifverträgen zu stärken.

 

Eine reale und dauerhafte Lohnerhöhung hilft Menschen nicht nur, ihre unmittelbaren Rechnungen zu begleichen, sondern bietet auch die Möglichkeit, die Lebensbedingungen der vielen arbeitenden Menschen dauerhaft zu verbessern. Das Gleiche gilt aber nicht nur für die arbeitende Bevölkerung. Auch Menschen in der Grundsicherung brauchen dringend eine deutliche Erhöhung der Regelsätze. Die von der Ampel vorgeschlagene Erhöhung auf 500€ ist nicht ausreichend, um Menschen eine armutsfeste Grundsicherung zu bieten. Regelsätze müssen steigen, und zwar in einem Maß, dass die gestiegenen Preise für Alltagsprodukte, Lebensmittel und Mobilität abbildet. Wir wollen hier eine sofortige erhöhung um 250 Euro.

 

Gerade bei Heizkosten stehen Empfänger:innen der Grundsicherung vor einer nicht zu überwindnenden Hürde. Wird beispielsweise mit Gas geheizt und auch das Warmwasser über die Zentralheizung erhitzt, so sind die Kosten dafür komplett aus dem Regelsatz zu decken. Wir wollen daher Heiz- und Energiekosten jeglicher Art als Teil der Kosten der Unterkunft anerkennen, damit diese außerhalb des Regelsatzes übernommen werden.

 

Wir fordern die Bundesregierung dazu auf, zum Zweck der Entlastung die Gasumlage nicht zu erheben und stattdessen eine dauerhafte Lösung für die Energieversorgung im Land anzustreben, anstatt das nächste Strohfeuer zu entzünden. Unlängst ist die Bundesregierung sowieso schon bei Uniper mit einer Minderheitsbeteiligung eingestiegen. Dieses Unternehmen wird für die Gasversorgung in Deutschland als Too-big-to-fail angesehen und weil wir alle nicht erleben wollen, was bei einem schlagartigen Versagen der deutschen Energieversorgung so los wäre, glauben wir das auch. Allerdings ist für uns klar, die einzige dauerhafte Lösung für Uniper oder Gazprom Germania und im Allgemeinen systemrelevante Energiekonzerne ist die Verstaatlichung. Vom Prinzip her ist die Gasumlage falsch, weil sie Konzerngewinne auf Kosten der Verbraucher staatlich durchsetzt, genauso falsch ist es aber auch, dass ein wichtiger Teil unserer Infrastruktur von der Liquidität einiger weniger Konzerne abhängt.

 

Im Entlastungspaket ist davon die Rede, dass eine Übergewinnsteuer zunächst im europäischen Rahmen geprüft und notfalls national durchgesetzt werden soll. Diese zögerliche Haltung ist nicht nachvollziehbar, insbesondere da viele europäische Länder eine solche Steuer bereits eingeführt haben oder auf den Weg gebracht haben. Laut der Rosa-Luxemburg-Stiftung stehen bis zu 100 Mrd. Euro an Übergewinnen in Deutschland bereit zur Abschöpfung. Diese wollen wir nach dem griechischen Modell mit 90% besteuern. Das würde knapp vier Jahre 9-Euro-Ticket in Deutschland subventionieren.

 

Der Mietmarkt stellt ohnehin seit Jahren eine reale Bedrohung in der Lebensrealität vieler Menschen dar. Besonders mit gestiegenen Nebenkosten befinden sich viele und gerade die 58% der Deutschen, welche zur Miete wohnen, in der Falle. Deshalb fordern wir einen Mietenstopp, ein Kündigungsmoratorium und eine Aussetzung der Indexklausel bei Mietverträgen.

 

Ein Bestandteil des Entlastungspaketes ist außerdem die Reform des Wohngeldes als Wohngeld Plus, dass ab 1.1.2023 gilt. Es soll eine dauerhafte Heizkostenkomponente beinhalten und rund 2 Millionen anspruchsberechtigte Menschen entlasten.. Zum Kreise dieser Anspruchsberechtigten gehören Rentner:innen, Familien und Geringverdiener:innen. Das Wohngeld Plus ist zunächst als wichtiges Instrument zu bewerten, das tatsächlich gezielt ärmeren Menschen nützt. Bei genauerer Betrachtung offenbart es allerdings zwei große Probleme: Erstens gibt es in diesem Land zwei Millionen Menschen, die trotz Arbeit und Rente auf diese Leistungen angewiesen sind. Wir kommen zu dem Schluss, dass der Kampf um eine armutsfeste Rente und eine erneute Anhebung des Mindestlohns auf mindestens 15€ genauso notwendig sind wie der Kampf gegen steigende Mietpreise. Das zweite Problem ist, dass Menschen die Leistung aktiv beim Wohngeldamt beantragen müssen und somit erneut zu Bittsteller:innen gemacht werden. Es ist Zeit für die vollständige Digitalisierung des Sozialstaates und der Verwaltung, sodass das Wohngeld automatisch an diejenigen, die berechtigt sind, überwiesen wird. Wir wollen nicht nur die Auswirkungen der steigenden Energie- und Wohnkosten bekämpfen, sondern deren Auslöser.

 

Die EU hat bereits die Möglichkeit geschaffen, die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel auszusetzen. Wir fordern die Regierungskoalition angesichts der gestiegenen Lebensmittelpreise dazu auf, dies auch umzusetzen. Generell sollte

darauf hingewirkt werden, dass die Mehrwertsteuer als solche verschwindet. Es ist eine Steuer, welche ärmere Haushalte überproportional belastet und gerade in volatilen Zeiten eine unnötige zusätzliche Belastung darstellt. WirJungsozialist:innen sind grundsätzlich der Meinung, dass eine Steuerung des Konsums über Preisanreize der falsche Weg ist, weil es kein sozialer Weg sein kann.

 

Es geht um mehr als Kurvenkosmetik und Konsumanreize, die Gefahr der Armut ist für viele Deutsche diesen Herbst näher gerückt. Armut wirkt weder motivierend noch mobilisierend, wie wir in Deutschland spätestens seit den Hartz-Gesetzen wissen. Es ist eine elementare Aufgabe der Sozialdemokratie, die Lage der Menschen zu verbessern und ihnen vor Augen zu führen, dass politische Aktion und staatliches Handeln ihr individuelles Schicksal stärker denn je beeinflussen und verbessern können. Es geht nämlich auch darum, die Menschen für Veränderungen zu mobilisieren. Das gelingt zehnmal leichter, wenn die Menschen der festen Überzeugung sind, dass staatliche Akteur:innen Verantwortung haben und handeln können und ihr Schicksal nicht irgendwo auf dem freien Markt entschieden wird. Genug ist Genug, wir wollen mehr als Feuerlöscher sein, denn es gibt für uns eine Welt zu gewinnen.

 

Deswegen geht es auch darum, den Plan für eine positive Zukunft zu malen. Wir werden mit der Deckel-Drauf-Kampagne erste Gehversuche in diese Richtung unternehmen. Allerdings muss die breite politische Linke hier mehr Antworten liefern als unmittelbare Entlastungen. In diesen Krisenzeiten verlieren die Menschen zusehends Hoffnung für die Zukunft. Ob sie sich Sorgen machen, dass ihre Ausbildung in den nächsten Jahren nicht mehr gebraucht wird oder ob ihr Betrieb die Energiekrise überstehen kann, die Fragen, die sich Menschen stellen, setzen an ihren direkten materiellen Lebensverhältnissen an. Deswegen sollten und müssen wir als politische Linke in der Debatte um die Zukunft des industriellen Kerns dieses Landes unsere Vision klar bennenen:

 

  • Wir wollen mit der Jobgarantie das Recht auf gute armutsfeste Arbeit
  • Wir wollen eine Lebensstandardgarantie für die Kommunen
  • Wir wollen den Energiesektor verstaatlichen, insbesondere systemrelevante Energiekonzerne.
  • Wir wollen fahrscheinlose Mobilität zum Nulltarif.
  • Wir wollen den Ausbau erneuerbarer Energien staatlich vorantreiben. Mit Schulungsprogrammen und regionalen Transformationskommissionen werden hiermit Tausende Klimajobs entstehen.

 

Für die unmittelbare Entlastung der Bevölkerung und um unseren Genoss:innen und Kolleg:innen Luft zum Atmen zu verschaffen, fordern wir folgende Maßnahmen:

 

  • Einen Gaspreisdeckel für den Grundbedarf der Haushalte von 7,5 Cent pro Kilowattstunde,
  • einen Strompreisdeckel für den Grundbedarf der Haushalte von 10 Cent pro Kilowattstunde
  • Die Anhebung des Mindestlohnes auf 15€ sowie Aufhebung der Ausnahmen für junge Menschen beim Mindestlohn
  • den kostenlosen öffentlichen Nahverkehr und kurzfristig die Fortführung des 9-Euro-Tickets
  • Eine gezielte Entlastung für alle, die auf das Auto angewiesen sind, durch einen Spritpreisdeckel.
  • Eine Übergewinnsteuer nach griechischem Modell
  • Eine Absenkung und Aussetzung er Mehrwertsteuer wo immer möglich
  • Eine Anhebung der Regelsätze in der Grundsicherung um mindestens 250€
  •  Einen Mietenstopp, ein Kündigungsmoratorium und eine Aussetzung der Indexklausel bei Mietverträgen
  • Eine Anpassung der Energiepreispauschale bei Azubis und Studierenden auf 300€
  • Sofortige Anhebung des Bafög um mindestens 200€ sowie die Umwandlung des Bafög in einen elternunabhängigen Vollzuschuss
  • Eine sofortige Anpassung der Mindestvergütung für Auszubildende auf den um 200€ erhöhten Bafög-Satz
  • Die Abschaffung der Gasumlage
  • Heizkosten vollständig als Teil der KdU ohne Bewertung, ob diese als angemessen gelten.