D5 Ersatzfreiheitsstrafe zur Ausnahme machen – Armut entkriminalisieren

Status:
unbehandelt

Wir fordern eine Anpassung der Ersatzfreiheitsstrafe entsprechend dem skandinavischen Vorbild, wonach eine Ersatzfreiheitsstrafe grundsätzlich nur bei Zahlungsunwilligkeit, nicht hingegen bei bloßer Zahlungsunfähigkeit angeordnet wird. Für die Bewertung der ökonomischen Situation der Verurteilten sowie für die Eintreibung der Geldstrafen soll zukünftig nicht mehr die Staatsanwaltschaft, sondern eine eigene Behörde zuständig sein. Nach 5 Jahren andauernder Zahlungsunfähigkeit hat hinsichtlich der Geldstrafe Verjährung einzutreten. In außergewöhnlichen Fällen, in denen eine unterlassene Strafreaktion nicht vermittelbar ist, soll eine Umwandlung auf Antrag der Staatsanwaltschaft hin unter Richtervorbehalt in eine Ersatzfreiheitsstrafe weiterhin möglich bleiben. Hierfür ist de:r Angeklagte:n ein Rechtsbeistand zu gewähren sowie die Möglichkeit, vor Gericht angehört zu werden.

Begründung:

„An die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe tritt Freiheitsstrafe“ heißt es in § 43 StGB. Angeordnet wird diese Umwandlung von der Staatsanwaltschaft. Anhand des Umstands, wonach seit den 1970ern etwa 80% aller Strafen als Geldstrafen ausgesprochen werden, kann man sich ausrechnen, dass es eine hohe Zahl an Menschen gibt, die nicht deswegen im Gefängnis sitzen, weil es ein Urteil so von ihnen verlangen würde. Jährlich gibt es ungefähr 50.000 solcher Umwandlungen von Geld- in Ersatzfreiheitsstrafen, also Fälle, in denen allein das Portemonnaie den Unterschied zwischen Freiheit und Haft macht. Zur Einordnung: Bei etwa 100.000 Inhaftierungen jährlich macht das ca. die Hälfte bzw. (nachdem die Haftdauer bei einer Ersatzfreiheitsstrafe meist kurz ist) rund 10% aller Gefängnisinsass:innen aus. Viel mehr noch hieß es in einem Artikel auf lto.de Anfang 2022: „Seit Neuestem ist die Zahl der Ersatzfreiheitsstrafen sogar schon höher als die Zahl der originären Freiheitsstrafen“. In Punkto Neuaufnahmen bedeutet das, dass auch zu durchschnittlichen Zeiten jede 2. bis 3. Neuaufnahme im Strafvollzug aufgrund nicht gezahlter Geldstrafe erfolgt. In jenem zuvor genannten Artikel schilderte der Journalist Ronen Steinke diesen rechtstaatlichen Schiefstand wie folgt: „Eine Geldstrafe ist nur milder für den, der das Geld hat, um sie zu bezahlen.“ Die meisten Betroffenen einer Ersatzfreiheitsstrafe seien verschuldet, haben ein Alkohol- oder Drogenproblem oder kommen aus der Obdachlosigkeit. Folglich zählt für Ronen Steinke dieser Umstand zu dem, was er in Summe die „neue Klassenjustiz“ nennt.

Wir können ein solches System nicht auf sich beruhen lassen. Gerade Menschen am Rande der Gesellschaft, die wenig Aufmerksamkeit erfahren und mit keiner Lobby aufwarten können, dürfen nicht auf diese Art und Weise in die Mühlen der Justiz geraten. Für einen faireren und zugleich trotzdem effektiven Umgang mit Geldstrafen haben wir daher den Blick nach Schweden zu werfen: Hier erfolgt eine Umwandlung einer Geldstrafe in eine Ersatzfreiheitsstrafe grundsätzlich nur bei Zahlungsunwilligkeit, nicht hingegen bei Zahlungsunfähigkeit. In regelmäßigen Abständen kontrolliert dort eine eigene Behörde die Zahlungsfähigkeit der Verurteilten. Dies hat, verglichen mit dem deutschen System, den Vorteil, dass die Staatsanwaltschaft einerseits entlastet wird und der Kontostand der verurteilten Person andererseits über einen längeren Zeitraum beobachtet werden kann, statt eine Geldstrafe unmittelbar in eine Haftstrafe umzuwandeln. Hält eine Zahlungsunfähigkeit 5 Jahre lang an, verjährt die Geldstrafe. Lediglich in außergewöhnlichen Fällen, in denen beispielsweise vorsätzlich die Zahlungsunfähigkeit aufrechterhalten wird, findet auch dort eine Umwandlung einer Geldstrafe in eine Ersatzfreiheitsstrafe trotz Zahlungsunfähigkeit statt. Die Ergebnisse sprechen für sich: Statt wie bei uns ca. 50.000 Umwandlung von Geld- in Ersatzfreiheitsstrafen jährlich gibt es in Schweden weniger als 20 im selben Zeitraum. Den derzeitigen Umgang der deutschen Justiz mit mittellosen Menschen unangetastet zu lassen, bedeutet das Wort „Rechtsstaat“ nicht wirklich ernst zu nehmen. Eine Änderung des Status Quo ist daher dringend von Nöten.

Änderungsanträge
Status Kürzel Zeile AntragstellerInnen Text PDF
unbehandelt ÄD5-2 1 Jusos Oberbayern Streiche Z1-6: bis “einzutreten“ und ersetze durch “Wir fordern eine ersatzlose Streichung der Ersatzfreiheitsstrafe. Sie ist eine Maßnahme, die auf soziale Ungleichheit aufbaut und bestraft Menschen, die von Armut betroffen sind für ihre Armut und führt nicht selten zu Arbeitsplatz- oder Wohnungsverlust. Personen unterhalb einer bestimmten Grenzen sollen bei einer Verurteilung zu einer Geldstrafe nicht ersatzweise mit Freiheitsentzug bestraft werden.“
unbehandelt ÄD5-3 7 Jusos Oberbayern Streiche Z 7-8 nach “Umwandlung“ bis einschließlich “bleiben.“ und ersetze durch “in Auflagen wie Sozialstunden möglich sein.“
unbehandelt ÄD5-4 9 Jusos Oberbayern Nach Z9: Füge ein:  Die Tagessatzbemessung einer Geldstrafe orientiert sich aktuell am Nettoeinkommen. Bei Personen, die wenig Geld verdienen, erreicht diese Bemessung allerdings schnell Beträge, die zum täglichen Leben benötigt werden. Wir fordern daher eine Bemessung am Einbußeprinzip. Ein Tagessatz entspricht demnach dem Geld, das eine Person pro Tag einbüßen kann, also abzüglich der Lebenserhaltungskosten, die die Person stemmen muss. Bagatelldelikte wie Erschleichens von Leistungen oder Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz müssen zudem entkriminalisiert werden und die Armut, aus denen solche Vergehen meist resultieren, als strukturelles Problem anerkannt und durch bessere sozialstaatliche Lösungen bekämpft werden. Darüber hinaus muss das System des Strafbefehls, der per Einwurfschreiben zugestellt und ohne Einspruch nach Frist von zwei Wochen zu einem Urteil wird, geändert werden. Da Personen ohne juristische Kenntnisse, meist wirtschaftlich schlechter gestellte Personen, die in diesem Fall auch kein Recht auf juristischen Beistand haben, in diesen Fällen meist ohne Verfahren verurteilt werden. Wir fordern, dass Strafbefehle persönlich zugestellt werden müssen und Pflichtverteidigung gewährt werden muss.
unbehandelt ÄD5-1 Titel Jusos Oberbayern Ersetze im Titel: “zur Ausnahme machen” durch “streichen”