I-2 Klare Kante gegen den Angriffskrieg – Eindeutige Position in der Türkeipolitik - Jetzt

Adressat*innen: Juso-Bundeskongress, Juso-Landeskonferenz, SPD-Bundestagsfraktion

Klare Kante gegen den Angriffskrieg – Eindeutige Position in der Türkeipolitik - Jetzt

Deutschland und die Türkei verbindet eine gemeinsame Historie und noch heute zeigen die vielen Menschen, die sowohl die Türkei als auch Deutschland als ihre Heimat ansehen, die Verbindung der beiden Länder. Wir bekennen uns zur Verantwortung die Kinder und Enkel der ehemaligen Gastarbeiter*innen, die integrierter Bestandteil unseres Landes sind, in ihrem Kampf gegen Diskriminierung zu unterstützen und zudem für eine aktive Völkerverständigung zwischen der türkischen und der deutschen Nation einzustehen. Eine Verbindung zum türkischen Volk muss aber auch eine klare Ablehnung des aktuellen türkischen Regimes bedeuten, denn Millionen Menschen, die auf dem Staatsgebiet der Türkei oder in direkter Nachbarschaft leben, leiden am meisten unter den Praktiken des türkischen Präsidenten Erdogan und seines Regimes. Die Erpressung der Nato-Staaten seitens der Türkei, die einem Beitritt Schwedens und Finnlands nur deshalb zustimmte, weil umfassende Zugeständnisse an die Türkei und ihre autoritären und völkerrechtswidrigen Praktiken gemacht wurden, zeigt einmal mehr, dass es eine neue und klare Türkeipolitik braucht, die sich klar für Menschenrechte und gegen kriegerische und autoritäre Handlungen einsetzt. Während die beiden skandinavischen Länder aus berechtigten Sorgen um ihre Sicherheit, wegen des russischen Angriffskrieges, den Schutz der Nato suchen, opfert eben jenes Verteidigungsbündnis, das sich als Behüter von liberalen Werten und Demokratie sieht, die Sicherheit der Kurd*innen und billigten den türkischen Angriffskrieg gegen ein unschuldiges Volk.
Die Türkei, die 2005 zum EU-Beitrittskandidaten erklärt wurde, hatte seit 2002, dem Beginn der Regierung der islamisch konservativen AKP zuerst eine Verbesserung der Menschenrechte gezeigt. Im Freedom House Index, der von 1 (gut) bis 7 (schlecht) die Menschenrechtslage einschätzt, machte sei einen Schritt von 4,5 (2002) bis auf 3 (2005), was den Beginn der Beitrittsprozesse ermöglichte. Nachdem dieser allerdings schleppend verlief, verschlechterte sich die Lage und die Türkei fiel nach den brutal niedergeschlagenen Gezi-Protesten auf 3,5 (2013) und den radikalen Konsequenzen aus dem gescheiterten Putsch 2016 sogar auf 5,5 (2017).
Neben der Unterdrückung von Pressefreiheit, Oppositionsrechten, der LGBTIQ-Community und
Frauenrechten, der Behördenwillkür nebst Foltervorwürfen und der inhumanen Behandlung von
Geflüchteten, ist diese Verschlechterung der Menschenrechte an der Behandlung der kurdischen
Minderheit deutlich zu erkennen. Das kurdische Volk erhielt nach dem ersten Weltkrieg und der Auflösung des osmanischen Reiches kein eigenes Staatsgebiet, sein Siedlungsgebiet wurde stattdessen auf die Türkei, Syrien, den Irak, den Iran und Armenien aufgeteilt. In allen Ländern, besonders in der Türkei, kämpften Kurd*innen seitdem für mehr Autonomierechte – teilweise auch für Unabhängigkeit. Die Türkei bekämpfte die Bestrebungen seit ihrer Gründung radikale, unabhängig davon, ob westorientiert säkulare, islamisch konservative oder militärische Kräfte das
Land regierten. Kurd*innen wurde über Jahrzehnte unterdrückt, erfuhren jedoch unter Recep Tayyip Erdo an anfänglich tatsächlich Liberalisierungen in Sprache, Bildung, Religion und politischer Beteiligung und es wurden sogar Friedensverhandlungen aufgenommen. Ab 2013 wurden Kurd*inne jedoch wieder mit harten Repressionen belegt, wodurch die zuvor gewährten Rechte mehr als revidiert wurden und es zu Parteiverboten, Verhaftungen von Abgeordneten der kurdischen HDP, Absetzung demokratisch gewählter Bürgermeister und Verboten von Medien, Zeitungen und Einrichtungen kam. Die Friedensgespräche wurden einseitig aufgekündigt und die Regierung Erdogan ging militärisch gegen die kurdischen Gebiete vor, flog sogar Luftangriffe und stellte ganze Dörfer wochenlang unter Hausarrest. Die Versorgungslage in den kurdischen Gebieten ist deutlich schlechter als die in der übrigen Türkei, Behördenwillkür ist an der Tagesordnung, demokratische Teilhabe unmöglich.
Doch nicht nur innerhalb der Türkei gehen Sicherheitskräfte radikal und gewalttätig gegen
Kurd*innen vor: Seit der Gründung der Türkei unter Mustafa Kemal “Atatürk” gilt als erklärtes Staatsziel, ein unabhängiges Kurdistan zu verhindern, um eigene territoriale Interessen zu bewahren. Der Türkische Staat bekämpft deshalb auch heute, autonome kurdische Bestrebungen in Nordsyrien und Nordirak und greift deshalb das kurdische Autonomiegebiet Rojava an. Zudem unterstützte die Türkei seit Beginn des Syrischen Bürgerkriegs mehr oder weniger offen radikalislamistische Kräfte und arbeitet bis heute mit der Syrische Nationale Armee zusammen, die nach Informationen von Amnesty International für Folter, Verschleppung und Mord verantwortlich ist. Zudem sind Türkische Streitkräfte seit 2015 selbst in kurdische Gebiete, auf dem Staatsterritorium Syriens einmarschiert, was qua Definition einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg bedeutet.
Bodentruppen und Luftangriffe auf die Kurd*innen richtet sich nach Aussagen der türkischen Seite nur als Antiterror-Maßnahmen gegen die PKK, die in der Türkei tatsächlich Angriffe auf staatliche und zivile Ziele ausgeübt hatte, aber eben auch gegen die YPG, die im Kampf gegen den selbsternannten IS auf Seiten der USA und der Nato gekämpft hatte und entscheidend an der Zurückdrängung der radikalislamistischen Terrortruppen beteiligt war. Zudem berichten
Menschenrechtsorganisationen immer wieder von zivilen Opfern der Drohnen- und Luftangriffe. Aktuelle Berichte zeigen, dass die Türkei versucht, die Kurd*innen aus dem Grenzgebiet zu vertreiben, um ihr zusammenhängendes Autonomiegebiet zu zerstören und eine Sicherheitszone zu errichten, innerhalb derer sie syrische Geflüchtete zwangsansiedeln wollen.
Nachdem die kurdischen Verbündete im Kampf gegen den IS als wichtigste Unterstützung gesehen wurden, wurden sie angesichts der türkischen Bedrohung fallen gelassen und dem Angriff eines, ihnen übermächtigen, Militärs schutzlos ausgeliefert. Tatsächlich verringerten einige Nato- und EU-Länder, u.a. Schweden und Finnland, jedoch ihre Waffenexporte und gewährten geflohenen Kurd*innen Schutz und Asyl. Dass Nato-Staaten und damit Partner der Türkei in einem Bündnis für liberale Werte und Demokratie politische Geflüchtete aus der Türkei aufnehmen müssen zeigt, dass die Türkei schon lange nicht mehr in dieses angebliche Wertekonstrukt Nato passt. Die Türkei, die sich in den Vergangenen Jahren immer weiter zu einer stabilen Autokratie gewandelt hat, die völkerrechtswidrige Kriege führt, die die Sicherheit von Armenien und der EU-Partner Griechenland und Zypern und die fragile Stabilität in Libyen bedroht, ist nur aus strategischen Interessen weiterhin ein Nato-Partner, gemeinsame Werte sind nicht zu erkennen.
Dass sich die Nato nun bei der Aufnahme der beiden liberalen Demokratien Schweden und Finnland, die zweifelsohne jede Berechtigung zu diesem Beitrittsgesuch und auch zum Beitritt haben, von der autoritären und menschenrechtsfeindlichen Türkei erpressen lässt, ist nicht akzeptabel. Durch ein Abkommen zwischen Schweden, Finnland und der Türkei, zeigen die beiden skandinavischen Länder nun Bereitschaft, angebliche Terrorverdächtige an die Türkei auszuliefern, was sie zuvor abgelehnt hatten. Dabei hatte die Türkei Schweden sogar eine
Namensliste übergeben, was ein krudes Verständnis von Rechtsstaatlichkeit seitens der Türkischen Regierung offenlegt. Zusätzlich werden Schweden und Finnland ihre Waffenembargos aufheben, mehr Zusammenarbeit mit der Türkei in Außen- und Sicherheitsfragen anstreben und zudem die Unterstützung kurdischer Einrichtungen beenden. Die kurdische Exilgemeinde verliert dadurch finanzielle Mittel, Räumlichkeiten und Einfluss und muss zudem fürchten, künftig leichter von türkischen Behörden überwacht zu werden, was in Deutschland längst geschehen ist. Die USA kündigten wenige Stunden nach dem Aufnahmebeschluss der beiden skandinavischen Staaten an,
eine Modernisierung der türkischen Luftwaffe zu unterstützen und dabei wohl auch Kampfflugzeuge zu liefern, was sie bisher abgelehnt hatten.
Mit diesen Abkommen legitimieren die aktuellen Nato-Staaten und die beiden zukünftigen die türkische Diktatur und ihren Kampf gegen die Kurd*innen. Die Nato sieht nicht länger nur passiv weg, wenn die Türkei Kurd*innen verfolgt, vertreibt und ermordet, sondern sie unterstützt diese
Taten mehr und mehr aktiv. In einer Zeit, in der sich Deutschland und Europa an die Seite der
Ukraine gegen einen verbrecherischen russischen Angriffskrieg stellen und zu Recht ihren Zusammenhalt mit der Ukraine zeigen, sollten wir nicht gleichzeitig die Türkei dabei unterstützen, wenn sie einen brutalen verbrecherischen Krieg gegen Rojava führt, sondern ebenso demonstrativ einen Schulterschluss mit den Kurd*innen zeigen und die türkische Aggression, ebenso wie die russische, klar benennen und sanktionieren, nicht noch unterstützen.
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Türkei bereit war, Menschenrechte für einen möglichen EU-Beitritt umzusetzen. Die islamisch konservative AKP hatte zugunsten eines möglichen Beitritts sogar die größten Zugeständnisse an Menschenrechte und Autonomierechte für die Kurd*innen umgesetzt. Die konservativen Kräfte in Deutschland und Frankreich verhinderten den EU-Beitritt der Türkei jedoch, weshalb die türkische Regierung den Ansporn für die Umsetzung der Menschenrechte verlor, besonders, da sie über den unsäglichen EU-Türkei Migrations-Deal zusätzliches Erpressungspotential gegenüber der EU erhielt. Aus dieser Erfahrung zeigt sich, dass auf die Türkei Druck aufgebaut werden kann und muss, um sie zur Einhaltung der Menschenrechte und zur Beendigung ihres völkerrechtswidrigen Krieges gegen die Kurd*innen zu bewegen.
Wir fordern deshalb:
Die Bundesregierung muss öffentlich ihre Solidarität mit den Kurd*innen aussprechen und die türkische Aggression auch innerhalb der Nato klar benennen. Deutschland muss die Autonomiebestrebungen des kurdischen Volkes unterstützen, die Autonome Region Rojava anerkennen und das kurdische Vereinswesen in Deutschland unterstützen und schützen.
Türkische und kurdische Oppositionelle, auch Angehörige der PKK, dürfen nicht an die Türkei ausgeliefert werden, sondern müssen innerhalb Deutschlands und der EU Schutz erhalten und in Einzelfällen gerichtlichen Verfahren die Beurteilung von angeblichen Terrorist*innen überlassen werden und keine politischen Auslieferungen gestattet werden.
Die Bundesregierung muss ein Waffenembargo gegen die Türkei aussprechen und sich innerhalb der EU und Nato dafür einsetzen, dass die übrigen Partner sich diesem Embargo anschließen. Für den Fall, dass die Türkei ihre verbrecherischen militärischen Aktionen auf syrischem Territorium nicht beendet, müssen wirtschaftliche Sanktionen und solche gegen die handelnden Personen vorbereitet und im Ernstfall vollzogen werden.
Die Türkei kann unter ihrer aktuellen politischen Führung und deren Maßnahmen kein “normaler” Nato-Partner mehr sein. Die Türkei sollte innerhalb der Nato in einen Schwebezustand versetzt werden, der sie von der Einstimmigkeit ausnimmt und nicht die Rechte einer vollwertigen Mitgliedschaft ermöglicht. Die Bundesregierung muss sich dahingehend innerhalb der Nato einzusetzen.
Nur mit diesen Maßnahmen kann Frieden für die Kurd*innen und die türkische Opposition erreicht werden und die völkerrechtswidrigen Angriffe beendet werden. Wir brauchen eine klare Linie für Menschenrechte und Demokratie in unserer Türkeipolitik.

Beschluss

angenommen

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Änderungsanträge

  • I-2-29

    Antragsteller*innen: Jusos Unterfranken

    Betrifft die Antragszeile 29

    Redaktionelle Änderungen

    Z.29 “radikale” nur “radikal”
    Z. 31 “wurden” statt “wurde”

    33 “Kurd*innen”
    Z. 43 “türkische”
    Z. 44 Komma vor “autonome” streichen (“im Nordirak”?)
    Z. 45 “syrischen”
    Z. 46: Sind die Kräfte “mehr oder weniger offen radikalislamistisch” oder ist die Unterstützung der Türkei “mehr oder weniger offen”? In letzterem Fall: Kommata vor “mehr” und nach “offen”; “Syrischen Nationalen Armee”
    Z. 48 “türkische”, Komma nach “Gebiete” streichen
    Z. 50 “richten”; “sich, […] Seite,”

    57 “der” statt “derer”
    Z. 59 “Verbündeten”

    62f Kommata nach “Staaten” und “Türkei”
    Z. 65 “vergangenen”

    66 “, die” ers. durch “und”
    Z. 72 Komma nach “Türkei” streichen

    75 “türkischen”

    88 Komma nach “besonders” streichen

    Z.12 ers. “skandinavischen” durch “nordischen”

    Z.23 “Frauenrechte” ers. durch “Frauen”

    Z.24 “an der Behandlung” ers. durch “am Umgang mit”

    Z.75: “Namensliste” ergänzen: “Namensliste dieser auszuliefernden Personen”

    Z.80f ab “was” bis Satzende ersetzen durch “wie es in Deutschland bereits der Fall ist”.

    “EU-Türkei Migrations-Deal” ers. durch “Migrationsabkommen zwischen der EU und der Türkei”

    Z.9 streiche “und Finnlands”.

    Beschluss:

    abgelehnt
  • I-2-114

    Antragsteller*innen: Jusos Unterfranken

    Betrifft die Antragszeile 114

    Z.114ff streiche den Absatz.

    Beschluss:

    abgelehnt