U-6 Positionspapier der Jusos zum progressiven Tierschutz

Antragsteller*innen: Jusos Oberbayern

Adressat*innen: Juso-Bundeskongress, Juso-Landeskonferenz, SPD-Bundesparteitag, BayernSPD-Landesparteitag

Positionspapier der Jusos zum progressiven Tierschutz

Das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines funktionierenden Tierschutzes ist in der Gesellschaft immer präsenter. Daher ist es auch für uns Jusos wichtig, sich in der Frage zu positionieren und Antworten für eine Gesellschaft zu formulieren, in der der Tierschutz, wie wir ihn uns vorstellen, gewährleistet ist.

Grundsätzlich unterscheidet man im Tierschutz zwischen verschiedenen moralischen und dogmatischen Ansätzen. Angefangen beim gemäßigten Tierschutz bis hin zum aggressiv-radikalen Tierschutz, bei dem auch Gewalt angewendet wird, ist der Tierschutz in vielen Abstufungen definiert.

Der gemäßigte Tierschutz oder auch der “traditionelle Tierschutz” wird insbesondere in Mitteleuropa vertreten und erfolgt aus einer anthropozentrischen Haltung heraus, da er zum Ziel hat, die Gefühle der Bürger*innen, die an der Nichteinhaltung des Tierwohls Anstoß nehmen, zu schützen.

Der progressive Tierschutz

In den letzten Jahren und Jahrzehnten sorgte der „traditionelle Tierschutz“ für minimal größere

Käfige oder für das Verbot von bestimmten Haltungsformen. Aber auch mit kürzeren Wegen zur Schlachtfabrik, Betäubung bei der Kastration und Spielzeugen in den Käfigen ist es nicht getan.

Die Produktion von Tieren war gewaltvoll, ist gewaltvoll und wird mit dem traditionellen

Tierschutz weiterhin gewaltvoll sein. Dabei betrachten wir nicht nur die Fleischproduktion und die Massentierhaltung sondern auch die Tierhaltungen als Haustiere, im Zirkus oder in Tierparks sowie die Jagd von Tieren

Nur der progressive Tierschutz kann das ändern.

Wir sind davon überzeugt, dass bestehende Regelungen oder im Rahmen des traditionellen Tierschutzes diskutierte Änderungen nicht ausreichend sind, da sie das Leben und das körperliche und psychische Wohl der einzelnen Individuen nicht in den Mittelpunkt stellen.

Deswegen: Tierschutz muss sich am Wohl der Tiere orientieren!

Wir müssen uns fragen, was wir bewusst erlebenden Individuen grundsätzlich zumuten dürfen und mit was wir es rechtfertigen. Ist es grundsätzlich legitim, Tiere in Käfigen zu halten? Sind Tierversuche prinzipiell zumutbar oder müssen wir nicht zumindest bei denen, die für uns

Menschen nicht absolut nötig sind, auf alternative Methoden zurückgreifen? Darf man Tiere überhaupt töten – und spielt es dabei eine Rolle, ob sie davor ein glückliches Leben hatten?

Die Tatsache, dass andere Tiere ein komplexes Innenleben besitzen – sie die Welt bewusst wahrnehmen, leidensfähig und intelligent sind – ist für uns Grund weiterzugehen als der traditionelle Tierschutz es macht und für einen progressiven Tierschutz zu kämpfen.

Für uns bedeutet ein progressiver Tierschutz die Produktion, Nutzung und in letzter Konsequenz auch die Tötung von Tieren zu hinterfragen und Alternativen zu fördern.

Der progressive Tierschutz hinterfragt das Konzept der Tiere als Ware. Der progressive Tierschutz will nicht nur durch Maßnahmen die Akzeptanz der “Nutztierhaltung” verbessern. Der progressive Tierschutz fördert Alternativen zum Konsum von Tieren um die Vision einer Gesellschaft ohne Gewalt an Tieren zu realisieren.

Der progressive Tierschutz beginnt mit der SPD und uns Jusos: Für einen Systemwandel, eine Welt ohne Tierfabriken und eine Welt ohne Ausbeutung von Tieren!

Systemfrage stellen – mit dem Kapitalismus gibt es keine humane Tierhaltung

Die Ausbeutung von Mensch, Umwelt und Tier bestimmt das Wesen des Kapitalismus. Das herrschende Wirtschaftssystem erzeugt Tierleid, das wir bekämpfen wollen. Deswegen reicht es nicht, allein die Auswirkungen zu bekämpfen, sondern wir müssen an der Wurzel des Problems ansetzen.

Im Rahmen des kapitalistischen Profitstrebens werden Tiere als Produkte betrachtet, die lebendiger Teil des Produktionsprozesses sind. Schlechtere Lebensbedingungen (z. B. durch Massentierhaltung) für Tiere sind in diesem in der Regel mit niedrigeren Produktionskosten gleichzusetzen und erhöhen somit den Profit. Höhere quantitative Ausbeute (z. B. durch Züchtung) können ebenso den Profit erhöhen. Dies führt bis hin zur unmittelbaren Tötung, wenn ein Tier nicht zum Profit beitragen kann (z. B. Schreddern männlicher Küken).

Für uns ist klar, dass es eine humane Tierhaltung im Kapitalismus nicht geben kann und wir darauf hinarbeiten, diesen zu überwinden. Nur eine Gesellschaft, in der das Profitstreben nicht die oberste Maxime ist, wird es schaffen können, einen humanen Umgang mit Tieren zu schaffen. Wir entwickeln dabei auch unser Verständnis des demokratischen Sozialismus weiter und setzen uns kritisch mit der Definition des Menschen in Abgrenzung zum Tier auseinander, wie sie bedeutende Köpfe in der Bewegung des demokratischen Sozialismus einst festgelegt haben..

Als Jungsozialist*innen kritisieren wir das kapitalistische System, nicht jedoch die Ausgebeuteten dieses Systems. Die Beschäftigten in der Fleischindustrie und in anderen Branchen, in denen Tierleid erzeugt wird, sehen wir nicht als Feind*innen, sondern als Verbündete. Wer durch ein falsches Wirtschaftssystem dazu gezwungen ist, seine Arbeitskraft zu verkaufen, hat unsere Solidarität verdient. Der Einsatz für bessere Arbeitsbedingungen geht Hand in Hand mit der

Schaffung von Tierrechten und einem humanen Umgang mit Tieren. Die Transformation dieser Wirtschaftsbereiche hin zu zukunftsfähigen und nicht Tierleid erzeugender Branchen ist unser Ziel.

Tiere sind mehr als Gegenstände

Wir setzen uns mit der Einführung von Tierrechten kritisch auseinander. Klar ist, dass unsere am Konsum von Tierfleisch orientierte Gesellschaft dem Konsumbedürfnis nur gerecht werden kann, in dem sie Tiere ausnutzt und ausbeutet. Damit geht zwangsläufig ein Verlust an Tierschutz einher, der seine Konsequenz in der Einführung von Tierrechten oder einer Reform des Tierschutzes finden muss.

Wir sind der Meinung, dass Tiere und Menschen zwar nicht gleich behandelt werden müssen, aber die Tatsache, dass beide leiden können, gleiche Berücksichtigung finden soll.

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass das Tierschutzgesetz und die damit einhergehenden Verordnungen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft keine Tierrechte postulieren, sondern lediglich Grenzen im Umgang mit Tieren setzen. Tierrechte liegen erst dann vor, wenn das Tier als eigenes Rechtssubjekt begriffen wird, welches Inhaber*in von Rechten ist, die er*sie auch einklagen kann. Dies ist momentan nicht der Fall.

Auf dem Weg hin zu einer Gesellschaft, in der man über Tiere als eigenes Rechtssubjekt diskutieren kann, ist es wichtig, in einem ersten Schritt das Tierschutzgesetz zu überarbeiten und anders zu denken.

Momentan bestimmt § 1 TierSchG, dass niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen darf. In § 2 TierSchG wird bestimmt, dass jemand, der*die ein Tier hält, es nach seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend ernähren, pflegen und es verhaltensgerecht unterbringen muss.

Diesen Vorschriften kommt jedoch praktisch keine Bedeutung zu, da bereits § 2a TierSchG diese

Vorschriften dahingehend einschränkt, dass das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft dazu ermächtigt wird, Verordnungen zu erlassen, die diese Zwecke des Gesetzes näher definieren. Dabei versteht es sich von selbst, dass es ein vernünftiger Grund ist, Tieren Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen, wenn man es zur Nutzung – also auch als späteres

Konsumgut – hält. Insbesondere Nutztiere sind daher von den niedergeschriebenen Zwecken des Gesetzes faktisch ausgeschlossen. Ähnliches gilt für Tiere, an denen Tierversuche durchgeführt werden.

Problematisch ist darüber hinaus, dass solche Verordnungen niederschwellig und schnell erlassen werden können. Um eine möglichst beständige Tierschutzpraxis zu erreichen, sollte daher im Tierschutzgesetz definiert werden, wie z. B. eine artgerechte Haltung von verschiedenen Nutztieren aussieht.

Tierschutz endet nicht an nationalen Grenzen

Dass Tierschutz nicht an nationalen Grenzen aufhört, merkt man spätestens dann, wenn man im Supermarkt tierische Produkte aus anderen Ländern findet, bei denen man noch schwieriger nachvollziehen kann, wie das Tier gelebt und was es gegessen hat. Ein Beispiel dafür, welches uns deutlich macht, dass das nationale Problem auch international mehr Betrachtung finden sollte. Auf der europäischen Ebene hat das Europäische Parlament das Mitbestimmungsrecht bei vielen

Regelungen, wie beispielsweise der Tierversuchsrichtlinie, Kosmetikrichtlinien und

Chemikalienpolitik. Bei Tierschutzbestimmungen, welche die Agrarpolitik betreffen, können

Empfehlungen abgegeben werden. Ebenso bestehen fünf Tierschutz-Konventionen des

Europarats. Hierbei handelt es sich um die Europäischen Übereinkommen zum Schutz von Tieren, die in der EU transportiert werden, landwirtschaftlichen Nutztieren, Schlachttieren, Versuchstieren und Heimtieren. Ausschlaggebend ist aber, dass verschiedene Rechtsakte des Gemeinschaftsrechts der EU keine direkte Anwendung finden.

Der EU-Beitritt Schwedens kann hier als Beispiel herangezogen werden. So zeichnete sich

Schweden bereits in den Achtzigern durch hohe Tierschutzstandards aus. Als das Land jedoch 1995 der EU beitrat, musste ein Großteil der Erzeuger*innen tierischer Produkte ihre Produktion stark an die sehr niedrigen Standards der EU anpassen. Das führte dazu, dass viele bäuerliche und kleine Unternehmen, welche durch ihre höheren Tierschutzmaßnahmen nicht mehr konkurrenzfähig waren, vom Markt verdrängt wurden.

Nach unseren Vorstellungen sollten deswegen in der EU Tierschutzbestimmungen gelten, die einheitlich wirken, von allen Mitgliedsstaaten umgesetzt werden und sich nicht an den niedrigsten, sondern an den bestmöglichen Standards orientieren!

Global existieren ebenso stark unterschiedliche Rechtsverordnungen, welche auf unterschiedliche Weise den Schutz der Tiere gewährleisten oder dazu beitragen sollen. So spiegelt sich oftmals der gesellschaftliche Stellenwert oder die religiöse Überzeugung, welche die jeweilige Nation den Tieren zuschreibt, wider. Wie zwischen den europäischen Staaten existieren auch internationale Abkommen wie beispielsweise das Washingtoner Artenschutzabkommen (CITES), welches aber nur den internationalen Handel mit wild lebenden Tier- und Pflanzenarten sowie mit Produkten aus diesen Arten regelt. Das aktuelle Mercosur-Abkommen, ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay, enthält nur ein kurzes Bekenntnis zu mehr Tierschutz bei Nutztieren aber keine konkreten Regelungen.

Grundsätzlich kann man sagen, dass wirtschaftliche Interessen bei diesen internationalen Abkommen bisher immer im Vordergrund standen und Aspekte des Tierwohls und des Tierschutzes grob vernachlässigt wurden. Auch hier muss sich der Status quo um 180 Grad drehen. Bevor über Marktliberalisierung verhandelt wird, müssen vergleichbare Standards beim Tierschutz vorherrschen und überprüfbar sein. Denn was bringen uns hohe Standards in Europa, wenn unser Markt mit tierischen Produkten versehen ist, die diese nicht einhalten?

Wir als internationalistischer Verband sind der Überzeugung, dass Tierschutz nicht an nationalen Grenzen aufhört. Wir setzen uns für einen Tierschutz ein, der durch internationale Abkommen und Standards, sowohl innerhalb der EU als auch auf globaler Ebene, einheitlich geregelt wird, um den Tierschutz und das Wohl der Tiere nachhaltig und grenzübergreifend zu verbessern.

PDF

Download (pdf)