Seit der Finanzkrise 2008 steht die Europäische Währungsunion (EWU) politisch infrage. Kritiker*innen der EWU teilen sich auf in jene, die eine Gemeinschaftswährung mit in ihrer Wirtschaftsstruktur unterschiedlichen Mitgliedsstaaten grundsätzlich ablehnen, weil sie den Verlust nationaler geldpolitischer Autonomie nicht für kompensierbar halten. Ferner gibt es jene, die die EWU grundsätzlich für richtig halten, jedoch Mängel bei der Ausgestaltung dahingehend sehen, dass die EWU zu fiskalischer Undiszipliniertheit führt. Ihrer Ideologie folgte auch die Austeritäts- und Sparpolitik sowie der Drang zu Strukturreformen (also zur Kürzung von Sozialleistungen und zum Abbau des Staatsapparats). Und schlussendlich gibt es noch jene, die grundlegende Probleme bei der Ausgestaltung der EWU sehen, welche ein Verändern des Maastricht-Vertrags einerseits sowie ein Intensivieren der europäischen Integration andererseits erfordern. Im Folgenden wird die Position der letzten Gruppe vertreten.
Zwar sind die Debatten über die Finanzkrise längst aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden. Dennoch erleben wir bis heute die Auswirkungen der Krise sowie einer gescheiterten Krisenpolitik. Zahlreiche Länder der EWU, allen voran Griechenland, haben sich elf Jahre nach Ausbruch der Krise nicht erholt. Die Nullzinspolitik der EZB, welche vornehmlich die Kreditsicherheit von Banken und Staaten einerseits gewährleisten und ein Abrutschen der EWU in die offene Deflation durch Sicherstellung von Devisen andererseits verhindern sollte und soll, wird weiterhin fortgeführt. Der Euro wurde relativ zum US-Dollar massiv abgewertet und hat bis heute keine entsprechende Aufwertung erlebt. Der Geschäftsbankensektor hat sich nicht erholt: Die Deutsche Bank rudert von einer Krise zur nächsten, und der deutsche Staat ist bis heute an der Commerzbank beteiligt. Schlussendlich hat die Finanzkrise zu massiven Gegensätzen zwischen den Mitgliedsstaaten geführt, welche sich vor allem in den massiven Leistungsbilanzüberschüssen Deutschlands auf der einen und den Leistungsbilanzdefiziten Südeuropas auf der anderen Seite niederschlägt.
Allen voran fehlt es der EWU an konsensfähigen Konzepten: Weder hat die EWU ein konsensfähiges Konzept zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die gerade in Spanien, Frankreich, Griechenland und Italien ein massives Problem darstellt. Noch hat die EWU ein konsensfähiges Konzept zum Abbau außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte, und vornehmlich Deutschland zeigt sich in keiner Weise gewillt, seine Leistungsbilanzsalden auszugleichen. Zudem fehlt ein konsensfähiges Konzept darüber, wie die EWU künftig krisenfest gemacht und Investmentbanken risikoärmer im Sinne des Gemeinwohls gestaltet werden können.
Wir wagen im Folgenden den ambitionierten Versuch, in der europäischen Debatte um die EWU eine sozialistische Richtung aufzuzeigen. Das Vakuum an progressiven Ideen vonseiten der „progressive alliance“ für die Umgestaltung der EWU wollen wir nutzen, um einen Aufschlag für mögliche Reformideen zu liefern.
Dabei gliedert sich der Antrag wie folgt: Zunächst skizzieren wir kurz zentrale Konstruktionsfehler der EWU. Anschließend analysieren wir die Effekte der Finanzkrise und setzen diese in Relation zu den genannten Konstruktionsfehlern. Schlussendlich schlagen wir Maßnahmen vor, um Konstruktionsfehler zu beheben.
Der Vertrag von Maastricht: Konstruktionsfehler infolge einer neoliberalen Ideologie
Dem Vertrag von Maastricht, der 1991 das Grundgerüst für die EWU bildete, liegt ein neoliberaler Zeitgeist der 90er Jahre zugrunde, der in vielerlei Hinsicht heute als überholt gilt. Grundsätzliche Fehlannahmen waren, dass (a) Monetarismus funktioniert, d.h. Preisbildung und damit Inflation alleine durch die Kontrolle der Geldmenge beeinflusst und kontrolliert werden kann, und dies am besten durch eine unabhängige Zentralbank geschehen soll, die Inflation im Durchschnitt über alle Mitgliedsstaaten konstant hält, (b) langfristig Wirtschaftswachstum lediglich angebotsseitig getrieben wird, also Nachfrage eine untergeordnete Rolle in der Wirtschaftspolitik zukommt, und (c) der Markt, wenn man ihn nur ließe, optimale Ergebnisse erzielen würde, was zu einer Entfesselung der Finanzmärkte führte.
Entsprechend gering ist der Umfang des Vertrags von Maastricht: Da staatliches Einschreiten in die Wirtschaftsentwicklung grundsätzlich als störend empfunden wurde, forcierte der Vertrag von Maastricht lediglich die Beschränkung staatlicher Aktionen.
Entsprechend mager fällt der Umfang der Maastricht-Kriterien aus, welche den Staat zur fiskalischen Disziplin zwingen, indem sie eine Neuverschuldung auf 3% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) begrenzen und die Gesamtverschuldung auf maximal 60% des BIP.
Dem Staat kam im Dogma der Maastricht-Verträge lediglich die Bereitstellung der Infrastruktur als Aufgabe zu. Antizyklische Fiskalpolitik wurde als unnötig und schädlich angesehen. Insofern existiert auf EU-Ebene auch kein Instrument zur fiskalischen Steuerung. Und entsprechend klein fällt der EU-Haushalt mit 1% des EU-BIP aus.
Bei der Geldpolitik wurden national unterschiedliche Preisentwicklungen, zu welchen es gezwungenermaßen im Rahmen der EU-Konvergenz kommen muss, außer Acht gelassen.
Lehren aus der Eurokrise
Die Finanzkrise, welche als Stresstest der EWU verstanden werden kann, legte einige Konstruktionsfehler offen. Diese werden im Folgenden diskutiert. Zudem präsentieren wir konkrete Lösungsvorschläge.
- Unterschiedliche Inflationsraten
Zwar wurde durch die EZB eine Zielinflation von circa 2% festgelegt und größtenteils im Durchschnitt über den Euro-Raum auch eingehalten, jedoch entwickelten sich die Preise national höchst unterschiedlich, was zu unterschiedlichen Inflationsraten in den Mitgliedsstaaten der EWU führte. In Griechenland, Italien, Irland, Portugal, Zypern und Spanien beispielsweise stiegen die Preise überdurchschnittlich, da durch die zusätzliche Sicherheit des Euro relativ zur vorherigen nationalen Währung Realzinsen sanken, sodass die Kreditaufnahme anstieg und durch die zusätzliche Nachfrage letztlich die Preise anstiegen. Entsprechend ergab sich eine Inflation oberhalb des EZB-Inflationsziel. In Deutschland hingegen wurde über Jahre hinweg das Inflationsziel unterschritten, was im Wesentlichen auf die Lohnmoderation der 2000er Jahre zurück zu führen ist.
Durch die Heterogenität der Inflationsraten, und damit auch der Realzinsen, in den EWU-Mitgliedsstaaten wurde eine gemeinsame Geldpolitik in ihrer Effektivität massiv gemindert. So wäre für Deutschland ein anderer Nominalzins durch die EZB optimal gewesen als beispielsweise für Griechenland. Mechanismen, welche ein Gegensteuern ermöglicht hätten, beispielsweise eine europäische Fiskalpolitik oder die Koordinierung der Lohnentwicklung, waren im Vertrag von Maastricht, der einzig den Staaten fiskalische Disziplin einschärfte, nicht vorgesehen. Entsprechend handlungsunfähig war die EZB in ihrer Rolle der Inflationsbekämpfung, weshalb sie im Nachgang der Finanzkrise dazu gezwungen war, zu unkonventionellen und vor allem teuren Methoden zu greifen, nämlich dem Quantitative Easing.
Um Inflationsraten künftig wirksam zu harmonisieren, fordern wir
- Einheitliche Richtwerte zum Lohnwachstum, da Löhne die Inflation gemäß des Normalanstiegs treiben. Die Löhne der EWU-Mitgliedsstaaten sollen in einem Korridor um Zielinflation plus Wirtschaftswachstum wachsen. Liegt das Wirtschaftswachstum beispielsweise bei 1.5%, dann sollen Löhne im Durchschnitt um 3.5% wachsen.
- Eine Koordinierung der Leistungsbilanzsalden, sodass Ungleichgewichte abgebaut werden können. Es kann nicht sein, dass Deutschland ständig Überschüsse macht, während andere Länder jährlich ein Leistungsbilanzdefizit verbuchen. Möglich wäre eine Angleichung durch Eingriff in die Primär- und Sekundärverteilung, also durch höhere Löhne in Überschussländern und Umverteilung über das Steuersystem.
- Eine einheitliche Strategie, antizyklische Ausgaben- und Einnahmenpolitik zu betreiben und damit Outputlücken (Unterauslastung, Überauslastung) zu schließen.
- Austeritätspolitik
Die langfristige Antwort der EWU-Mitgliedsstaaten auf die Finanzkrise lautete eine Verschärfung des neoliberalen Dogmas durch Austeritätspolitik, insbesondere also durch kontraktive Fiskalpolitik, Lohnsenkung durch Flexibilisierung und Kürzung von Sozialleistungen. Dies hatte einen Rückgang des Binnenkonsums und damit eine Senkung des Wirtschaftswachstums zur Folge, was zu einem Downgrade des Ratings der südeuropäischen Staaten führte und damit die Zinslast auf neuausgegebene Staatsanleihen massiv erhöhte. Am Ende hatte die Austeritätspolitk keinerlei belebenden Effekte auf die Wirtschaft hinterlassen, jedoch den Sozialstaat massiv reduziert und den Arbeitnehmer*innenanteil am Volkseinkommen verkleinert.
- Um die Abkehr von der Austeritätspolitik zu schaffen, muss der Vertrag von Maastricht verändert werden. Insbesondere muss es Staaten möglich sein, sich über 3% des BIP zu verschulden und ein höherer Schuldenstand muss eingeräumt werden.
- Der Fiskalpakt, welcher fast keine Neuverschuldung erlaubt und Schuldenbremsen für jedes Mitgliedsland vorsieht, muss abgeschafft werden. Eine Fiskalunion, die sich darauf beschränkt, sich selbst in ihrer Handlungsfähigkeit zu beschneiden, kapituliert in ihrem Unverständnis vor dem Dogma des Neoliberalismus.
- Fehlen fiskalpolitischer Kompetenzen
Im Vertrag von Maastricht war keine koordinierte Fiskalpolitik auf europäischer Ebene vorgesehen. Entsprechend wurde die Finanzkrise nicht durch ein schnelles, antizyklisches Einschreiten der Staaten auf internationaler Ebene gelöst, sondern langwierig auf dem Rücken der Beschäftigten durch Lohnsenkung und soziale Kürzung auskuriert. Dabei hatten auf nationaler Ebene fiskalpolitische Instrumente, beispielsweise die KFZ-Abwrackprämie in Deutschland, Erfolg und konnten dazu beitragen, die Beschäftigung während der Krise stabil zu halten.
Wir sind der Auffassung, dass eine gemeinsame Geldpolitik mit einer gemeinsamen Fiskalpolitik flankiert werden muss, um wirksam für Stabilität sorgen zu können. Daher fordern wir
- die Schaffung eines Finanzministeriums auf europäischer Ebene, ausgestattet mit fiskalischen Kompetenzen wie der Fähigkeit, Steuern einzutreiben (beispielsweise eine Finanztransaktionssteuer), einem eigenen Haushalt und der Möglichkeit, Staatsausgaben zu tätigen, beispielsweise für Forschung, Infrastruktur, Verteidigung, oder auch Flüchtlingspolitik. Auch sind Aufgaben wie die Finanzierung einer EU-Arbeitslosenversicherung denkbar. Durch die Fähigkeit, Schulden zu machen, kann antizyklische Fiskalpolitik betrieben werden. Auch kann ein Finanzministerium umverteilend zwischen den Mitgliedsstaaten tätig werden, um lokale Abschwünge aufzufangen.
- Die Schaffung eines europäischen Schatzamts zur Emittierung von Eurobonds.
- Entfesselung der Finanzmärkte
Dem Generieren neuer Finanzprodukte durch Großbanken begegnete die Politik mit Unwissenheit und Gleichgültigkeit. Anstelle auf systemische Risiken durch Bündelung von Schuldverschreibungen hinzuweisen oder jene Kreditbündel auf ihre Sicherheit zu prüfen wurde Ratingagenturen, die selbst eng mit den Banken verwoben waren, vertraut. Die Finanzindustrie wurde nicht gezügelt, sondern in ihrer Zügellosigkeit unterstützt. Für den Fall eines Zusammenbruchs einer Großbank wurde nicht vorgesorgt. Stattdessen wurde die implizite Garantie gegeben, Banken beim Zusammenbruch aus Steuermitteln zu retten. Durch Wegfallen von Wechselkursen und die Etablierung der Grundfreiheiten haben sich grenzüberschreitende Finanzströme massiv intensiviert. Dadurch werden Bankenkrisen zu einem internationalen Problem.
Da Bankenkrisen nicht verhindert werden können, müssen sie begrenzt werden und ihre Folgen schnell beseitigt. Daher fordern wir
- Die Durchsetzung eines Trennbankensystems
- Die Regulierung von Schattenbanken
- Die Übernahme der Bankenaufsicht durch das europäische Finanzministerium anstelle der EZB
- Die Etablierung einer Finanztransaktionssteuer in Höhe von 0.1% zur Unterbindung von Hochfrequenzhandel
- Die Vergemeinschaftung der Haftung auf europäischer Ebene bei der Einlagensicherung
- Fehlende Absicherung von Staatsschulden durch EZB
Im Gegensatz zur FED der USA ist es EZB verboten, Staatsanleihen von Mitgliedsstaaten bedingungslos auf dem Sekundärmarkt aufzukaufen, wenn Zinsaufschläge eine gewisse Schwelle überschreiten. Entsprechend sind europäische Staatsanleihen nicht sicher dahingehend, dass eine implizite Garantie durch eine Zentralbank auf die Sicherheit der Anleihen gegeben wird, wie dies in den USA der Fall ist. Dies führte im Rahmen der Finanzkrise einerseits zu einer Weiterentwicklung zur Staatsschuldenkrise für Südeuropa, da zahlreiche Staaten durch Downgrades beim Rating horrende Zinsaufschläge auf ihre Staatsanleihen hinnehmen mussten und sich teilweise nicht mehr am Markt refinanzieren konnten. Andererseits halten Geschäftsbanken Anleihen des Heimatlands, da diese als Sicherheiten bei der Zentralbank hinterlegt werden können, sodass der Ausfall einer Staatsanleihe mit dem Zahlungsausfall einer Bank und damit deren Zusammenbruch unmittelbar einher gehen kann.
- Um künftig Staatsanleihen durch die Zentralbank absichern zu können, fordern wir die Erweiterung der EZB zu einem Lender of Last Resort. Dabei soll die EZB Staatsanleihen der Mitgliedsländer des EWU bedingungslos auf dem Sekundärmarkt aufkaufen können, wenn deren Zinsaufschläge eine gewisse Schwelle überschreiten.
Seit der Finanzkrise 2008 steht die Europäische Währungsunion (EWU) politisch infrage. Kritiker*innen der EWU teilen sich auf in jene, die eine Gemeinschaftswährung mit in ihrer Wirtschaftsstruktur unterschiedlichen Mitgliedsstaaten grundsätzlich ablehnen, weil sie den Verlust nationaler geldpolitischer Autonomie nicht für kompensierbar halten. Ferner gibt es jene, die die EWU grundsätzlich für richtig halten, jedoch Mängel bei der Ausgestaltung dahingehend sehen, dass die EWU zu fiskalischer Undiszipliniertheit führt. Ihrer Ideologie folgte auch die Austeritäts- und Sparpolitik sowie der Drang zu Strukturreformen (also zur Kürzung von Sozialleistungen und zum Abbau des Staatsapparats). Und schlussendlich gibt es noch jene, die grundlegende Probleme bei der Ausgestaltung der EWU sehen, welche ein Verändern des Maastricht-Vertrags einerseits sowie ein Intensivieren der europäischen Integration andererseits erfordern. Im Folgenden wird die Position der letzten Gruppe vertreten.
Zwar sind die Debatten über die Finanzkrise längst aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden. Dennoch erleben wir bis heute die Auswirkungen der Krise sowie einer gescheiterten Krisenpolitik. Zahlreiche Länder der EWU, allen voran Griechenland, haben sich elf Jahre nach Ausbruch der Krise nicht erholt. Die Nullzinspolitik der EZB, welche vornehmlich die Kreditsicherheit von Banken und Staaten einerseits gewährleisten und ein Abrutschen der EWU in die offene Deflation durch Sicherstellung von Devisen andererseits verhindern sollte und soll, wird weiterhin fortgeführt. Der Euro wurde relativ zum US-Dollar massiv abgewertet und hat bis heute keine entsprechende Aufwertung erlebt. Der Geschäftsbankensektor hat sich nicht erholt: Die Deutsche Bank rudert von einer Krise zur nächsten, und der deutsche Staat ist bis heute an der Commerzbank beteiligt. Schlussendlich hat die Finanzkrise zu massiven Gegensätzen zwischen den Mitgliedsstaaten geführt, welche sich vor allem in den massiven Leistungsbilanzüberschüssen Deutschlands auf der einen und den Leistungsbilanzdefiziten Südeuropas auf der anderen Seite niederschlägt.
Allen voran fehlt es der EWU an konsensfähigen Konzepten: Weder hat die EWU ein konsensfähiges Konzept zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die gerade in Spanien, Frankreich, Griechenland und Italien ein massives Problem darstellt. Noch hat die EWU ein konsensfähiges Konzept zum Abbau außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte, und vornehmlich Deutschland zeigt sich in keiner Weise gewillt, seine Leistungsbilanzsalden auszugleichen. Zudem fehlt ein konsensfähiges Konzept darüber, wie die EWU künftig krisenfest gemacht und Investmentbanken risikoärmer im Sinne des Gemeinwohls gestaltet werden können.
Dabei gliedert sich der Antrag wie folgt: Zunächst skizzieren wir kurz zentrale Konstruktionsfehler der EWU. Anschließend analysieren wir die Effekte der Finanzkrise und setzen diese in Relation zu den genannten Konstruktionsfehlern. Schlussendlich schlagen wir Maßnahmen vor, um Konstruktionsfehler zu beheben.
Der Vertrag von Maastricht: Konstruktionsfehler infolge einer neoliberalen Ideologie
Dem Vertrag von Maastricht, der 1991 das Grundgerüst für die EWU bildete, liegt ein neoliberaler Zeitgeist der 90er Jahre zugrunde, der in vielerlei Hinsicht heute als überholt gilt. Grundsätzliche Fehlannahmen waren, dass (a) Monetarismus funktioniert, d.h. Preisbildung und damit Inflation alleine durch die Kontrolle der Geldmenge beeinflusst und kontrolliert werden kann, und dies am besten durch eine unabhängige Zentralbank geschehen soll, die Inflation im Durchschnitt über alle Mitgliedsstaaten konstant hält, (b) langfristig Wirtschaftswachstum lediglich angebotsseitig getrieben wird, also Nachfrage eine untergeordnete Rolle in der Wirtschaftspolitik zukommt, und (c) der Markt, wenn man ihn nur ließe, optimale Ergebnisse erzielen würde, was zu einer Entfesselung der Finanzmärkte führte.
Entsprechend gering ist der Umfang des Vertrags von Maastricht: Da staatliches Einschreiten in die Wirtschaftsentwicklung grundsätzlich als störend empfunden wurde, forcierte der Vertrag von Maastricht lediglich die Beschränkung staatlicher Aktionen.
Entsprechend mager fällt der Umfang der Maastricht-Kriterien aus, welche den Staat zur fiskalischen Disziplin zwingen, indem sie eine Neuverschuldung auf 3% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) begrenzen und die Gesamtverschuldung auf maximal 60% des BIP.
Dem Staat kam im Dogma der Maastricht-Verträge lediglich die Bereitstellung der Infrastruktur als Aufgabe zu. Antizyklische Fiskalpolitik wurde als unnötig und schädlich angesehen. Insofern existiert auf EU-Ebene auch kein Instrument zur fiskalischen Steuerung. Und entsprechend klein fällt der EU-Haushalt mit 1% des EU-BIP aus.
Bei der Geldpolitik wurden national unterschiedliche Preisentwicklungen, zu welchen es gezwungenermaßen im Rahmen der EU-Konvergenz kommen muss, außer Acht gelassen.
Lehren aus der Eurokrise
Die Finanzkrise, welche als Stresstest der EWU verstanden werden kann, legte einige Konstruktionsfehler offen. Diese werden im Folgenden diskutiert. Zudem präsentieren wir konkrete Lösungsvorschläge.
- Unterschiedliche Inflationsraten
Zwar wurde durch die EZB eine Zielinflation von circa 2% festgelegt und größtenteils im Durchschnitt über den Euro-Raum auch eingehalten, jedoch entwickelten sich die Preise national höchst unterschiedlich, was zu unterschiedlichen Inflationsraten in den Mitgliedsstaaten der EWU führte. In Griechenland, Italien, Irland, Portugal, Zypern und Spanien beispielsweise stiegen die Preise überdurchschnittlich, da durch die zusätzliche Sicherheit des Euro relativ zur vorherigen nationalen Währung Realzinsen sanken, sodass die Kreditaufnahme anstieg und durch die zusätzliche Nachfrage letztlich die Preise anstiegen. Entsprechend ergab sich eine Inflation oberhalb des EZB-Inflationsziel. In Deutschland hingegen wurde über Jahre hinweg das Inflationsziel unterschritten, was im Wesentlichen auf die Lohnmoderation der 2000er Jahre zurück zu führen ist.
Durch die Heterogenität der Inflationsraten, und damit auch der Realzinsen, in den EWU-Mitgliedsstaaten wurde eine gemeinsame Geldpolitik in ihrer Effektivität massiv gemindert. So wäre für Deutschland ein anderer Nominalzins durch die EZB optimal gewesen als beispielsweise für Griechenland. Mechanismen, welche ein Gegensteuern ermöglicht hätten, beispielsweise eine europäische Fiskalpolitik oder die Koordinierung der Lohnentwicklung, waren im Vertrag von Maastricht, der einzig den Staaten fiskalische Disziplin einschärfte, nicht vorgesehen. Entsprechend handlungsunfähig war die EZB in ihrer Rolle der Inflationsbekämpfung, weshalb sie im Nachgang der Finanzkrise dazu gezwungen war, zu unkonventionellen und vor allem teuren Methoden zu greifen, nämlich dem Quantitative Easing.
Um Inflationsraten künftig wirksam zu harmonisieren, fordern wir
- Einheitliche Richtwerte zum Lohnwachstum, da Löhne die Inflation gemäß des Normalanstiegs treiben. Die Löhne der EWU-Mitgliedsstaaten sollen in einem Korridor um Zielinflation plus Wirtschaftswachstum wachsen. Liegt das Wirtschaftswachstum beispielsweise bei 1.5%, dann sollen Löhne im Durchschnitt um 3.5% wachsen.
- Eine Koordinierung der Leistungsbilanzsalden, sodass Ungleichgewichte abgebaut werden können. Es kann nicht sein, dass Deutschland ständig Überschüsse macht, während andere Länder jährlich ein Leistungsbilanzdefizit verbuchen. Möglich wäre eine Angleichung durch Eingriff in die Primär- und Sekundärverteilung, also durch höhere Löhne in Überschussländern und Umverteilung über das Steuersystem.
- Eine einheitliche Strategie, antizyklische Ausgaben- und Einnahmenpolitik zu betreiben und damit Outputlücken (Unterauslastung, Überauslastung) zu schließen.
- Austeritätspolitik
Die langfristige Antwort der EWU-Mitgliedsstaaten auf die Finanzkrise lautete eine Verschärfung des neoliberalen Dogmas durch Austeritätspolitik, insbesondere also durch kontraktive Fiskalpolitik, Lohnsenkung durch Flexibilisierung und Kürzung von Sozialleistungen. Dies hatte einen Rückgang des Binnenkonsums und damit eine Senkung des Wirtschaftswachstums zur Folge, was zu einem Downgrade des Ratings der südeuropäischen Staaten führte und damit die Zinslast auf neuausgegebene Staatsanleihen massiv erhöhte. Am Ende hatte die Austeritätspolitk keinerlei belebenden Effekte auf die Wirtschaft hinterlassen, jedoch den Sozialstaat massiv reduziert und den Arbeitnehmer*innenanteil am Volkseinkommen verkleinert.
- Um die Abkehr von der Austeritätspolitik zu schaffen, muss der Vertrag von Maastricht verändert werden. Insbesondere muss es Staaten möglich sein, sich über 3% des BIP zu verschulden und ein höherer Schuldenstand muss eingeräumt werden.
- Der Fiskalpakt, welcher fast keine Neuverschuldung erlaubt und Schuldenbremsen für jedes Mitgliedsland vorsieht, muss abgeschafft werden. Eine Fiskalunion, die sich darauf beschränkt, sich selbst in ihrer Handlungsfähigkeit zu beschneiden, kapituliert in ihrem Unverständnis vor dem Dogma des Neoliberalismus.
- Fehlen fiskalpolitischer Kompetenzen
Im Vertrag von Maastricht war keine koordinierte Fiskalpolitik auf europäischer Ebene vorgesehen. Entsprechend wurde die Finanzkrise nicht durch ein schnelles, antizyklisches Einschreiten der Staaten auf internationaler Ebene gelöst, sondern langwierig auf dem Rücken der Beschäftigten durch Lohnsenkung und soziale Kürzung auskuriert. Dabei hatten auf nationaler Ebene fiskalpolitische Instrumente, beispielsweise die KFZ-Abwrackprämie in Deutschland, Erfolg und konnten dazu beitragen, die Beschäftigung während der Krise stabil zu halten.
Wir sind der Auffassung, dass eine gemeinsame Geldpolitik mit einer gemeinsamen Fiskalpolitik flankiert werden muss, um wirksam für Stabilität sorgen zu können. Daher fordern wir
- die Schaffung eines Finanzministeriums auf europäischer Ebene, ausgestattet mit fiskalischen Kompetenzen wie der Fähigkeit, Steuern einzutreiben (beispielsweise eine Finanztransaktionssteuer), einem eigenen Haushalt und der Möglichkeit, Staatsausgaben zu tätigen, beispielsweise für Forschung, Infrastruktur, Verteidigung, oder auch Flüchtlingspolitik. Auch sind Aufgaben wie die Finanzierung einer EU-Arbeitslosenversicherung denkbar. Durch die Fähigkeit, Schulden zu machen, kann antizyklische Fiskalpolitik betrieben werden. Auch kann ein Finanzministerium umverteilend zwischen den Mitgliedsstaaten tätig werden, um lokale Abschwünge aufzufangen.
- Die Schaffung eines europäischen Schatzamts zur Emittierung von Eurobonds.
- Entfesselung der Finanzmärkte
Dem Generieren neuer Finanzprodukte durch Großbanken begegnete die Regierungskoalition mit Unwissenheit und Gleichgültigkeit. Anstelle auf systemische Risiken durch Bündelung von Schuldverschreibungen hinzuweisen oder jene Kreditbündel auf ihre Sicherheit zu prüfen wurde Ratingagenturen, die selbst eng mit den Banken verwoben waren, vertraut. Die Finanzindustrie wurde nicht gezügelt, sondern in ihrer Zügellosigkeit unterstützt. Für den Fall eines Zusammenbruchs einer Großbank wurde nicht vorgesorgt. Stattdessen wurde die implizite Garantie gegeben, Banken beim Zusammenbruch aus Steuermitteln zu retten. Durch Wegfallen von Wechselkursen und die Etablierung der Grundfreiheiten haben sich grenzüberschreitende Finanzströme massiv intensiviert. Dadurch werden Bankenkrisen zu einem internationalen Problem.
Da Bankenkrisen nicht verhindert werden können, müssen sie begrenzt werden und ihre Folgen schnell beseitigt. Daher fordern wir
- Die Durchsetzung eines Trennbankensystems
- Die Regulierung von Schattenbanken
- Die Übernahme der Bankenaufsicht durch das europäische Finanzministerium anstelle der EZB
- Die Etablierung einer Finanztransaktionssteuer in Höhe von 0.1% zur Unterbindung von Hochfrequenzhandel
- Die Vergemeinschaftung der Haftung auf europäischer Ebene bei der Einlagensicherung
- Fehlende Absicherung von Staatsschulden durch EZB
Im Gegensatz zur FED der USA ist es EZB verboten, Staatsanleihen von Mitgliedsstaaten bedingungslos auf dem Sekundärmarkt aufzukaufen, wenn Zinsaufschläge eine gewisse Schwelle überschreiten. Entsprechend sind europäische Staatsanleihen nicht sicher dahingehend, dass eine implizite Garantie durch eine Zentralbank auf die Sicherheit der Anleihen gegeben wird, wie dies in den USA der Fall ist. Dies führte im Rahmen der Finanzkrise einerseits zu einer Weiterentwicklung zur Staatsschuldenkrise für Südeuropa, da zahlreiche Staaten durch Downgrades beim Rating horrende Zinsaufschläge auf ihre Staatsanleihen hinnehmen mussten und sich teilweise nicht mehr am Markt refinanzieren konnten. Andererseits halten Geschäftsbanken Anleihen des Heimatlands, da diese als Sicherheiten bei der Zentralbank hinterlegt werden können, sodass der Ausfall einer Staatsanleihe mit dem Zahlungsausfall einer Bank und damit deren Zusammenbruch unmittelbar einher gehen kann.
- Um künftig Staatsanleihen durch die Zentralbank absichern zu können, fordern wir die Erweiterung der EZB zu einem Lender of Last Resort. Dabei soll die EZB Staatsanleihen der Mitgliedsländer des EWU bedingungslos auf dem Sekundärmarkt aufkaufen können, wenn deren Zinsaufschläge eine gewisse Schwelle überschreiten.