„Der Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.“ Wohl kaum ein Zitat des ersten Kanzlers der SPD in der Nachkriegsgeschichte bringt die Bedeutung von Frieden, Sicherheit und Freiheit treffender auf den Punkt. Frieden ist und bleibt die Vorbedingung einer freien, gerechten und solidarischen Weltgesellschaft. Grundwerte und Grundrechte können nur in einer Gesellschaft zum Tragen kommen, die nicht von Krieg und der Angst um das eigene Überleben gekennzeichnet sind. Aber wie kann dieser Frieden und diese Freiheit erreicht werden? Wie kann Frieden gesichert werden? Diese Fragen gehören zu den großen, grundlegenden Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik.
Mit jedem Krieg oder bewaffneten Konflikt stellen sich folgende Fragen: Wie kann er vermieden, wie sogar eingedämmt bzw. beendet werden? Wie können zivile Opfer vermieden werden? Welchen Beitrag kann und muss die deutsche und gemeinsame europäische Außenpolitik leisten? Kann und soll die Bundeswehr dazu einen Beitrag leisten? Wie können die Staaten nach einem Ende der Gewalt neu aufgebaut werden und Mechanismen zur Konfliktlösung gestärkt werden?
Einfache Antworten auf diese Fragen fallen schwer. Die Welt ist seit 1989 komplexer und unüberschaubarer geworden. Viele Konflikte finden parallel statt. Wünschenswerte vorbeugende Maßnahmen sind oft langfristiger Natur, die Herausforderungen eines militärisch eskalierten Konflikts aber stets akut. Sowohl aktives Handeln als auch abwartendes Verhalten sind meist mit Nachteilen behaftet, beides aber sicher schwer abschätzbar und folgenreich.
Die Lage und die Bemühungen für eine ausgewogene und erfolgreiche Sicherheits- und Friedenspolitik ist allerdings auch nicht hoffnungslos. Politik kann Berge versetzen. Die Politik unter Willy Brandt und Egon Bahr, die ihren Teil zum friedlichen Ende des Kalten Krieges beigetragen hat, ist hier ein wichtiges Beispiel.
Die europäische Sicherheitsstruktur sowie die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik muss sich zudem seit der Annexion der Krim 2014 und dem vollständigen Angriff auf die Ukraine 2022 neu ausrichten. Vor diesem Hintergrund beschließt die Sozialdemokratie ihren sicherheits- und friedenspolitischen Kompass und richtet ihre Außen-, Friedens- und Sicherheitspolitik nach diesem aus:
Für unsere Grundwerte einstehen: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität
Die Sozialdemokratie bekennt sich zu den Grundwerten „Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität“ in der Außen- und Sicherheitspolitik. Sie sind unsere Kriterien für die Beurteilung der politischen Wirklichkeit in einer schneller drehenden Welt, unser Maßstab für eine bessere Gesellschaft und Orientierung für unser Handeln. Dabei bilden diese drei Grundwerte eine Einheit. Sie sind gleichwertig und bedingen, stützen und ergänzen sich gegenseitig. Auch in der internationalen Politik bildet dieses Wertetrias den Rahmen, die Leitplanken und den Weg, in und auf dem sich die Sozialdemokratie bewegt.
Freiheit bedeutet dabei, die Möglichkeit zu haben, selbstbestimmt zu leben. Die globale Umsetzung dieses elementaren Wertes wird in Gestalt der Menschen- und Bürgerrechte von der Völker- und Staatengemeinschaft weitestgehend akzeptiert und in einem immer stärkeren Maße umgesetzt. Von besonderer Bedeutung ist hierbei, dass die Einhaltung der Menschenrechte weltweit eingeklagt werden kann. Bis heute gilt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als eines der wirkungsmächtigsten Dokumente der Vereinten Nationen und des internationalen Menschenrechtsschutzes.
Im Gegensatz zur Freiheit ist die Gerechtigkeit ein sehr relativer Begriff. Bestimmte Freiheitsrechte, wie die Unverletzlichkeit der Person oder die Freiheit der Religionsausübung, kann man weitgehend unabhängig von der konkreten Situation formulieren. Bei Gerechtigkeit geht es dagegen stets um die Frage von materiellen oder immateriellen Gütern sowie Zugangschancen. Die Frage einer gerechten Verteilung wird daher stets sehr konkret davon abhängig sein, was es überhaupt zu verteilen gibt und an wen. Innerhalb der Nationalstaaten sind zwar unterschiedliche Formen von Gerechtigkeit weitgehend als politische Ziele anerkannt, im Verhältnis der Staaten untereinander spielt die Gerechtigkeit bisher keine besondere oder gar bestimmende Rolle. So beruhen Leistungen einzelner Staaten im Bereich der Krisenbewältigung oder der allgemeinen Entwicklungszusammenarbeit letztendlich auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. Für die Sozialdemokratie sind allerdings gerade die Fragen der globalen Gerechtigkeit in der internationalen Politik von großer Bedeutung und müssen intensiviert werden.
Im Wertekanon der Sozialdemokratie bedeutet Solidarität die freiwillige Bereitschaft, für andere einzustehen und mit anderen für das gleiche Ziel zusammenzuarbeiten. Solidarität ist der Wert, in dessen Geist sich Menschen über das gesetzlich Geregelte hinaus füreinander einsetzen. In den internationalen Beziehungen gibt es in vielen Fragen keine rechtlichen Regelungen, die auch tatsächlich durchgesetzt werden können. Die Bereitschaft zu internationaler Solidarität in Fragen von Wirtschaft, Handel, Finanzen, Technologie und in der Entwicklungszusammenarbeit ist daher aus Sicht der Sozialdemokratie existenziell für all diejenigen Menschen auf der Welt, die unter Not, Hunger und/oder Armut leiden. Das Eintreten für die Benachteiligten im Rahmen der internationalen Solidarität entspricht nicht nur dem Menschenbild der Sozialdemokratie. Nein, es hat auch ganz konkrete außen- und sicherheitspolitische Gründe. Nicht zuletzt die vergangenen Jahre haben immer wieder deutlich gemacht, dass der ungleiche Zugang zu Ressourcen Konflikte und Gewalt mitverursacht.
Grundwerte bewegen sich immer auf einem hohem Abstraktionsniveau. Es ist daher stets schwierig, aus ihnen eine konkrete Politik abzuleiten. Daher ist es sinnvoll, politisches Handeln neben Grundwerten zusätzlich auf ein breiteres und verbindlicheres Fundament zu stellen. Auf globaler Ebene bilden dieses Fundament vor allem die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die Europäische Menschenrechtskonvention, die Grundrechtecharta der Europäischen Union und die Internationalen Pakte über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie über bürgerliche und politische Rechte. Diese Grundrechte sind eine wichtige Säule für die Formulierung einer wertebasierten Außen- und Sicherheitspolitik der Sozialdemokratie.
Handeln nach friedens- und sicherheitspolitischen Prinzipien
Neben unseren Grundwerten verfolgt die Sozialdemokratie feste, unverrückbare Prinzipien, um eine ausgewogene Außen- und Sicherheitspolitik zu betreiben. Als Prinzipien verstehen wir feste Regeln, die jemand zur Richtschnur seines Handelns macht und durch die er sich in seinem Denken und Handeln leiten lässt. Unsere sozialdemokratischen friedens- und sicherheitspolitischen Prinzipien fußen auf unsere Grundwerte. Ihren Ausdruck müssen diese Prinzipien im konkreten politischen Handeln finden.
Wir bekennen uns dabei zu folgenden Prinzipen:
- Legalität. Wir binden unser außen- und sicherheitspolitisches Handeln stets wertebasiert an das geltende Völkerrecht wie bspw. der Charta der Vereinten Nationen oder anderen völkerrechtlichen Verträgen oder Gewohnheitsrecht.
- Wir schaffen verbindliche Strukturen, mit Rechten und Pflichten in Regimen auf verschiedenen Politikfeldern.
- Internationale Solidarität. Wir setzen uns für eine vermehrte freiwillige Bereitschaft ein, für andere einzustehen und mit anderen für das gleiche Ziel
zusammenzuarbeiten. Im globalen Kontext spielt der Grundwert der Solidarität, insbesondere in Gestalt der zwischenstaatlichen Kooperation in den Bereichen Wirtschaft, Handel, Finanzen und Technologie sowie in Gestalt der Entwicklungszusammenarbeit eine wichtige Rolle.
- Prävention. Die frühzeitige und gezielte Investition in Frieden und Stabilität ist der beste Garant für langfristigen Frieden und langfristige Stabilität statt eines verspäteten Eingreifens.
- Abrüstung und Entspannung. Wir bekräftigen unsere Forderung, dass Diplomatie immer den Vorrang vor militärischer Gewalt zu geben ist. Wir bestehen weiterhin auf einer restriktiven Waffenexportpolitik. Das bedeutet: außer in wenigen Ausnahmen wie dem Ukraine-Krieg keine Waffenexporte in Krisengebiete.
Elemente eines friedens- und sicherheitspolitischen Kompasses verinnerlichen und danach handeln
Die Ereignisse rund um die Ukraine und die ausgerufene „Zeitenwende der Außen- und Sicherheitspolitik“ zeigen mit Bestimmtheit, dass gerade die Außen- und Sicherheitspolitik ein Politikfeld ist, das immer wieder auf neue Ereignisse reagiert werden musste. Auch wir mussten unseren konkreten sicherheits-, außen- und friedenspolitischen Kurs in den vergangenen über 150 Jahren nach einschneidenden Ereignissen immer wieder neu bestimmen.
Grundlage für jede neue Kursbestimmung war und ist dabei aber ein unveränderlicher Wertekompass, der auf die drei Grundwerte „Freiheit“, „Gerechtigkeit“ und „Solidarität“ geeicht ist.
Folgt man diesem Kompass, wird jedoch schnell deutlich, dass sich Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität in der internationalen Politik nicht allein mit Mitteln der Außen- (bspw. durch Diplomatie, Internationale Organisationen) und Sicherheitspolitik (bspw. durch Militär), sondern auch mit der Entwicklungspolitik realisieren lassen. Auch andere Politikbereiche wie Handels-, Umwelt und globale Steuerpolitik müssen im Rahmen eines vernetzten Ansatzes zusammengedacht und -gebracht werden, um unbeabsichtigte negative Wirkungen soweit möglich zu vermeiden und die positiven strukturellen Wirkungen zu stärken.
Für die Ableitung konkreten politischen Handelns bedarf es weiterer Ankermarken. Einer dieser Ankerpunkte ist ein konkreter Friedensbegriff. Aus der Perspektive der Sozialdemokratie ist klar, dass Frieden mehr sein muss als die Abwesenheit von Krieg. Frieden ist nach diesem positiven Friedensbegriff erst dann erreicht, wenn auch die Ursachen von Unfrieden beseitigt sind. Das ist im Ziel, im Handeln und im Denken der Sozialdemokratie selbst bereits angelegt. Die Sozialdemokratie strebt auch weiterhin die Realisierung von politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Grundrechten für alle Menschen an. Die Überwindung struktureller Gewalt im Sinne eines positiven Friedensbegriff bedeutet somit auch, dass die Schaffung von Frieden als „permanente Aufgabe“ zu begreifen ist, wie es Willy Brandt richtig in seiner Nobelpreisrede 1971 formuliert hat.
Ein anderer Ankerpunkt ist sodann der Sicherheitsbegriff. Der Schutz der Bevölkerung ist eine der grundlegenden staatlichen Aufgaben. Er ist für die Legitimation eines Staates zentral. Daher ist es fundamental, sich für den Schutz der Menschen in Konfliktgebieten einzusetzen. In dieser Dimension tritt die Sozialdemokratie für ein enges Verständnis des Bedrohungsbegriffs ein. Geflüchteten muss geholfen werden, der Klimawandel muss gestoppt werden. Aber nicht, weil es die die Sicherheit, sondern es die Menschlichkeit gebietet: Jeder Mensch hat das Anrecht auf ein menschenwürdiges Leben und den Schutz seiner Lebensgrundlagen. Entsprechend verfolgen wir in einem friedens- und sicherheitspolitischen Kompass auch einen umfassenden Ansatz, der Grundlage der internationalen Politik der Sozialdemokratie ist und neben außen- und sicherheitspolitischen Aspekten auch wirtschaftliche, entwicklungspolitische und ökologische Aspekte mit einschließt. Wir als Sozialdemokrat*innen verstehen Sicherheitspolitik demnach umfassend und gemeinsam. Sicherheit bedeutet eben nicht nur Schutz vor und durch militärische Gewalt.
Schließlich muss der Korridor festgelegt werden, innerhalb dessen sich die Sozialdemokratie in Bezug auf ihr Leitbild bewegt. Obwohl die Sozialdemokratie keine pazifistische Strömung war und ist, wäre es allerdings aufgrund unseres Wertekanons umgekehrt auch nicht denkbar, dass sich die Sozialdemokratie für eine Militärmacht Deutschland, für die militärische Macht stets von höchster Bedeutung ist und dementsprechend Krieg ein legitimes Mittel zur Durchsetzung seiner Ziele oder zur Machtsicherung darstellt, einsetzen würde. Vielmehr setzen wir uns für das Leitbild der „Zivil- bzw. Friedensmacht“ ein. Eine Zivil- bzw. Friedensmacht nach diesem Leitbild ist ein Staat, dessen außenpolitisches Verhalten an Zielsetzungen gebunden ist, die einer Zivilisierung der internationalen Beziehungen dienen. Dabei stehen wir im Rahmen der Zivilmacht für drei Leitlinien: „Never again!“, „Never alone!“ und „Politik vor Gewalt!“.
Im Rahmen dieses Leitbildes kann ein militärischer Auslandseinsatz der Bundeswehr deshalb absolute „ultima ratio“ sein! Wir bekräftigen unsere Beschlusslage, wonach ein solcher „out of area“-Einsatz nur auf der Grundlage eines Mandats der Vereinten Nationen, bspw. im Rahmen der „resposibility to protect“, erfolgen kann. Dieser muss zwingend immer vom Parlament bestätigt werden und sollte realistischen Zielen im Rahmen eines politischen Gesamtansatzes folgen. Dies beinhaltet die Einsicht, dass die Wirksamkeit des Handelns durch unabhängige Evaluierungen überprüft werden muss.
Weiterhin gehört auch dazu, im Vorfeld von Auslandseinsätzen der Bundeswehr eine öffentliche und vor allem parlamentarische Diskussion vor allem über Entscheidungskriterien, politische Ziele oder über eine Gesamtstrategie sowie Erfolgsbedingungen und Wirksamkeit des Instrumentariums „Bundeswehr“ offensiv zu führen.
Frieden langfristig schaffen: Strategien und Ansätze der Sozialdemokratie
Frieden kann man stiften. Er muss und kann erarbeitet sowie gesichert werden. Dies kann aber nicht ohne harte Arbeit der Politik erfolgen. Das ist eine Erkenntnis, die sich aus dem friedens- und sicherheitspolitischen Kompass ergibt. Darauf aufbauend ist es unsere Verantwortung zu skizzieren, welche Elemente eine Friedensstrategie beinhalten muss. Dabei sind uns drei konkrete Politikansätze besonders wichtig:
- 1. Frieden durch Gerechtigkeit
Selbst noch im 21. Jahrhundert leben wir in Zeiten wachsender innergesellschaftlicher Konflikte und neuer Zerklüftungen. Die fast drei Jahrzehnte des Marktradikalismus haben die unteren 40% in allen Bevölkerungsgruppen in allen Ländern missachtet und die Abstände zwischen Arm und Reich in allen Gesellschaften und zwischen den Staaten vergrößert. Das verschärft die ohnehin vorhandene Arbeitsteilung, die den größten Teil der Entwicklungsländer zur traditionellen Rohstoffexporteuren macht und die Industrieländer zu Standorten der innovativen Produktion – oder Dienstleistungen.
Wir dürfen aber nicht ständig zulassen, dass wir die Generation der Geschichte sind, die zwar Billionen an Euro aufbrachte, um den Finanzsektor zu retten, aber nicht die Kraft, den Willen oder das Geld aufbrachte, die Welt vor Hunger, Armut, Arbeitslosigkeit oder Klimawandel zu retten. Denn zu den Auswirkungen marktradikaler Globalisierung kommen zunehmend die Auswirkungen globaler Klimaveränderungen. Sie treffen v.a. die ärmsten Länder und Bevölkerungsgruppen, die selbst am allerwenigsten zur Erderwärmung beitragen. Diese bezahlen aber mit dem Verlust ihrer Lebenschancen, mit Hungersnöten, mit einer wachsenden Zahl von Naturkatastrophen und Flucht.
Angesichts dieser Ausgangssituation sind internationale Kooperationen und Gerechtigkeit zwingend notwendig, wenn wir gewaltförmige Auseinandersetzungen ungeahnten Ausmaßes um Land, Wasser und nutzbare Flächen verhindern wollen. Das heißt auch, dass die gemeinsamen Ziele, die sich die Staaten zur Armutsbekämpfung im Jahr 2000 vorgenommen hat, die sog. Millenniumsentwicklungsziele mit großem Nachdruck als acht Regeln einer gerechten Gestaltung der Globalisierung verfolgt werden sollten. Ebenso muss auf die Einhaltung der 2015 verabschiedeten und universell geltenden Sustainable Development Goals (SDG) hingearbeitet werden.
Der Sozialdemokratie ist ebenfalls klar: Wer heute nicht nachhaltig handelt, wird in den nächsten Jahrzehnten gesellschaftliche „Tsunamis“ zu verantworten haben. Und deshalb verlangt die notwendige sozial-ökologische Transformation von den Industrieländern Vorbildcharakter, Fortschrittsallianzen zwischen fortschrittlichen Regierungen und der Zivilgesellschaft in den jeweiligen Ländern und die Einhaltung der finanziellen Zusagen und der Umgewichtung der Mittel für bspw. Rüstung und Entwicklungspolitik: 2,1 Billionen USDollar wurden 2021 nach dem SIPRI-Bericht noch immer weltweit für Rüstung ausgegeben, aber nur 179 Milliarden US-Dollar für Entwicklungszusammenarbeit.
Die Welt braucht keine expansiven Waffenexporte. Sie braucht mehr Gerechtigkeit! Ja, es braucht auch manchmal militärische Einsätze im Sinne von „responsibility to protect“. Die wichtigsten Konflikte in dieser Welt werden eben nicht allein durch Waffen gelöst werden können. Gerechtigkeit und Frieden sind Geschwister. Wir als Sozialdemokrat*innen sind deshalb aufgefordert, im Sinne von Frieden und Gerechtigkeit zu handeln. Hierfür müssen die Mittel für Entwicklungspolitik in einem Verhältnis von 1:1 im Vergleich zu den Verteidigungsausgaben steigen. Dies bedeutet, für jeden ausgegebenen Euro des Verteidigungshaushaltes muss der Haushalt für Entwicklungspolitik um einen Euro gesteigert werden.
- Feministische Außenpolitik
Im Zentrum Außen-, Friedens- und Sicherheitspolitik muss die Sicherheit von Menschen und nicht die Sicherheit von Staaten stehen. Das ist eine Kernaussage feministischer Außenpolitik.
Das liegt auch daran, dass Frauen* und Mädchen* oft auf besondere Art von bewaffneten Konflikten betroffen sind. In Kriegen und auf der Flucht sind sie sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Vergewaltigungen werden nach wie vor als strategischer Bestandteil der Kriegsführung eingesetzt, so zuletzt auch in der Ukraine. Solange bewaffnete Konflikte nicht vermieden werden können, muss eine sozialdemokratische Sicherheitspolitik sich auf den Schutz von Frauen*, Mädchen* und anderen besonders vulnerablen Gruppen konzentrieren.
Feministische Außenpolitik heißt aber vor allem, dass Frauen* nicht in erster Linie als besonders verletzliche, schutzbedürftige Gruppe gesehen werden. Frauen* können für ihre eigenen Bedürfnisse und Interessen einstehen, wenn die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen das nicht verhindern! Die Meinungen von Frauen* müssen im Fall bewaffneter Konflikte, bei Friedensverhandlungen und beim Aufbau neuer politischer Systeme eine genauso wichtige Rolle spielen wie die von Männern*.
Studien belegen, dass Gesellschaftern umso friedlicher sind, je geringer das Machtgefälle zwischen Männern* und Frauen* ist. Dies bedeutet, bewaffnete Konflikte werden durch weniger patriarchale Gesellschaften von vornherein verhindert. Empirische Untersuchungen zeigen aber auch, dass Friedensabkommen länger halten und die Zivilbevölkerung besser geschützt wird, wenn Frauen* an Friedensverhandlungen und Wiederaufbau beteiligt sind. Die gesellschaftliche Teilhabe und politische Mitsprache von Frauen* und anderen politischen Minderheiten sorgt dafür, dass mehr verschiedene Interessen berücksichtigt werden und gesellschaftliche und politische Systeme stabil bleiben.
Frauen* und Angehörige anderer politischer Minderheiten müssen gleichberechtigt Entscheidungspositionen einnehmen und leitende Rollen in Friedensverhandlungen, öffentlichen Ämtern und informellen Institutionen des Landes übernehmen. Das ist Grundvoraussetzung für die Etablierung einer feministischen Außen- und Sicherheitspolitik – national, europäisch sowie in den Vereinten Nationen. Was feministische Außenpolitik bedeutet, wird seit mindestens einem Jahrhundert von Aktivistinnen*, Politikerinnen* und Lobbyistinnen* definiert. Zu den zentralen Elementen gehören die Verwirklichung von Menschenrechten, Klimagerechtigkeit als Voraussetzung internationaler Sicherheit, Dekolonialisierung der Entwicklungszusammenarbeit, menschenfreundliche Migrationspolitik, Demilitarisierung, Abrüstung, Rüstungskontrolle und nicht zuletzt ein Verbot von Atomwaffen.
Wo sie noch nicht Bestandteil des sozialdemokratischen Programms ist, müssen die Expertise und Forderungen feministischer Akteurinnen* für Außenpolitik anerkannt und in den Parteidiskurs aufgenommen werden.
- (Nukleare) Abrüstung und Nichtverbreitung
(Klein-) Waffen sind zunehmend weltweit verfügbar. Das gefährdet öffentliche Sicherheit und macht Sicherheit auch zu einem exklusiven Gut – für diejenigen, die es sich leisten können. Zudem können Waffenexporte in Spannungsgebiete Konflikte befeuern. Die fatalen humanitären und politischen Folgen zeigen sich bspw. im andauernden Krieg im Jemen. Wir bekräftigen und erneuern unsere Forderung, dass in Krisengebieten grundsätzlich keine Waffen geliefert werden dürfen! Im Falle von Angriffskriegen eines Staates gegen einen anderen Staat können hiervon absolute und gut begründete Ausnahmen gemacht werden.
Europäische Rüstungsunternehmen verfügen über Überkapazitäten und drängen deshalb in den Export. Stattdessen sollten sie gemeinsam mit Gewerkschaften und der Politik Konversionsstrategien erarbeiten, um langfristig Arbeitsplätze zu sichern und das Innovationspotenzial der Branche für zivile Zwecke nutzbar zu machen.
Die Ausgaben für Streitkräfte stiegen in den meisten Ländern des globalen Nordens im letzten Jahrzehnt – gerade durch die Expansionspolitik Russland in die Ukraine – beträchtlich. Deutschland geht diesen Weg mit seinem wachsenden Haushalt des Verteidigungsministeriums und des aufgerufenen Sondervermögens in Höhe von 100 Mrd. EUR zu unserem Bedauern leider mit. Dazu kommt, dass hohe Militärausgaben bei Festhalten einer Schuldbremse oder einer extremen Sparpolitik oft dazu führen, dass zu wenig Mittel für Bildung, Infrastruktur oder soziale Sicherungssysteme zur Verfügung steht und politische Konflikte innerhalb eines Landes verschärfen können. Aus diesem Grund fordern wir einerseits die Abschaffung der Schuldenbremse, andererseits, dass bei notwendigen Erhöhungen des Verteidigungshaushaltes in keinen anderen Haushaltsposten Einsparungen vorgenommen werden!
Die Aufrüstungsrunden nach der russischen Annexion der Krim 2014 sowie nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erinnern fatal an das Wettrüsten zwischen Ost und West und die Abschreckungspolitik des Kalten Krieges. Der Mechanismus ist bekannt: Wer sich bedroht fühlt, glaubt, die eigene Sicherheit durch erhöhte militärische Anstrengungen (national oder durch Ertüchtigung der Verbündeten) erhöhen zu müssen. Dies ist bis zum Erreichen der eigenen Verteidigungsfähigkeit legitim, aber ein Wettrüsten lehnen wir entschieden ab!
Wir fordern stattdessen, sich auf die Konzepte zu besinnen, die zum Ende des Kalten Krieges mitbeitragen haben: gemeinsame Sicherheit, vertrauensbildende Maßnahmen, (nukleare) Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung von Massenvernichtungsmitteln.
Gemeinsame Sicherheit zielt auf eine europäische Sicherheitsarchitektur unter Einbeziehungen aller europäischen Staaten ab. Die Erfahrungen während des Kalten Krieges haben gezeigt, dass selbst in der Situation der gefährlichen Blockkonfrontationen mit der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) und der daraus entstandenen Organisation OSZE ein politischer Rahmen geschaffen werden konnte, der zur Entspannung und damit zu gemeinsamer Sicherheit führte.
Vertrauensbildung bedeutet nicht, die Sicherheitsbesorgnisse seiner realen oder wahrgenommenen Rivalen ernst zu nehmen und ihre Interessen als Grundlage für eine nationale oder supranationale Außen- und Sicherheitspolitik benutzen. Aus diesem Grund fordern wir vielmehr, dass sich in diesem Sinne Deutschland und v.a. die EU verstärkt im Bereich der präventiven Diplomatie engagieren und Formate wie den NATO-Russland-Rat oder eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit für den Nahen Osten ausbauen bzw. initiieren sollten oder sich auch in der konfrontativen Situation in Korea als Vermittler anbieten, um dabei unsere Grundwerte zu verbreiten. Solche Formate haben aber auch nur dann Erfolg, wenn beide Seiten den ernsthaften Willen zeigen, Entspannung zuzulassen.
Unter vorbeugende Maßnahmen verstehen wir Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung von Waffen. Es wäre daher unabdingbar, dass Deutschland und die EU die Mitte 2016 begonnen Bemühungen um eine Erneuerung konventioneller Rüstungskontrollvereinbarungen im Rahmen der OSZE und auf globaler Ebene intensivieren und sich endlich der Initiative für ein Atomwaffenverbot anschließen. Der Einsatz tödlicher autonomer Waffen sollte im Rahmen der UN-Waffenkonvention geächtet und verboten werden.
Deutschlands Glaubwürdigkeit als Zivil- und Friedensmacht würde enorm steigen, wenn es zum Vorreiter einer restriktiv praktizierten Rüstungsexportpolitik werden und für eine Vereinheitlichung auf europäischer Ebene – unter maßgeblicher Beteiligung der nationalen Parlamente sowie des Europäischen Parlaments – werben. Das würde u.a. das Verbot von Exporten in Drittstatten außerhalb der EU und NATO, das Verbot der Vergabe von Lizenzen zur Herstellung von Rüstungsgütern und eine leichtere Rücknahme von bereits erteilten Exportgenehmigungen beinhalten.
Die G20 sind für 80% der globalen Militärausgaben verantwortlich und für fast den gesamten weltweiten Waffenexport. Auch die wirkmächtigen geopolitischen Interessen bündeln sich in diesen Ländern. Damit tragen sie die Hauptverantwortlichkeit für die aktuelle neue Aufrüstungsrunde und den Nachschub an Waffen in Kriegsgebiete – und entsprechend auch dafür, den Trend umzukehren.