F2 Wir sind feministisch – auch in der Krise!

Status:
unbehandelt

In Krisenzeiten rücken Menschen zusammen. Krisenzeiten lassen aus Angst vor Gefahren für die innere Konstitution der Gesellschaften etwaige gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen an Bedeutung verlieren, weil sich die Gesellschaft in solchen Phasen versucht primär selbsterhaltend zu organisieren. So geraten gerade langfristige und progressive Entwicklungen aus dem Blick, während alte, tradierte Rollenbilder wieder zunehmend Teil des krisengeschüttelten Alltags werden.

  1. bezahlt und unbezahlt – systemrelevante Reproduktionsarbeit wird von Frauen geleistet

Insbesondere zu Beginn des Lock Down wurde viel Aufmerksamkeit auf „systemrelevante Berufe“ gelenkt. Die Erkenntnis, dass es einige wenige Berufsgruppen sind, welche in Krisensituationen kritische Infrastruktur und das gesellschaftliche Zusammenleben stemmen, mündete im Begriff „systemrelevant“. Dazu gehören in erster Linie Bereiche des öffentlichen Zusammenlebens die der

Daseinsvorsorge zu zuschreiben sind wie die Energieversorgung, Wasser und Entsorgung, Logistik,

Einzelhandel, Gesundheitsberufe, staatliche Verwaltung, Informationstechnik, digitale

Infrastruktur und Medien. Insbesondere zu den Berufsgruppen in den Pflegeberufen und im Einzelhandel war die einhellige öffentliche Meinung, dass diese Berufe nicht nur eine große gesellschaftliche Relevanz haben, sondern auch eine deutlich höhere Entlohnung verdient haben.

Diese Berufsgruppen sind Formen professionalisierter Reproduktionsarbeit und werden mehrheitlich von Frauen verrichtet. Die Bezahlung hat weniger mit dem Berufsbild als vielmehr mit der Tatsache zu tun, dass das professionelle öffentliche und somit bezahlte ebenso wie die private, unbezahlte Reproduktionsarbeit im patriarchal-gesellschaftlichen Verständnis weiblich konotiert sind.

Ein häufiges Phänomen ist in diesem Zusammenhang die global care chain – über die globale

Betreuungskette verrichten Arbeitsmigrantinnen die oftmals saisonal Betreuungs-, Pflege- und

Haushaltsaufgaben bei jenen Familien verrichten, die sich die Auslagerung von

Reproduktionsarbeit leisten können. Das ermöglicht es zwar meist gut gebildeten Frauen Lohnarbeit zu verrichten, zu einer geschlechtergerechten Aufteilung von Reproduktionsarbeit führt das aber nicht. Vielfach belastet sind dafür die Frauen, die nicht nur in ihren

Herkunftsländern als Lohnarbeitskräfte und bei der Reproduktion im eigenen familiären Umfeld fehlen, sondern auch noch oftmals verschärft durch Sprachbarrieren in prekärer Beschäftigung mit niedrigen Löhnen arbeiten. Durch die zeitweise geltenden Reisebeschränkungen saßen viele von Ihnen fest, ohne die Möglichkeit, in der Krisensituation bei ihren Familien sein zu können. Der

 

Wert dieser Arbeit lässt sich ökonomisch deutlich schlechter darstellen als die Schaffung von Mehrwert, der beispielsweise bei der Produktion eines Autos geschaffen wird. In einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung wird es uns nicht gelingen, mit anderen Kriterien als jenen der ökonomischen Profitabilität Arbeit zu messen und ihre gesellschaftliche Relevanz anzuerkennen.

Auch die  unbezahlt stattfindende Reproduktions- und Carearbeit im Privaten, die die Sicherung und den Erhalt des Miteinanders und der Arbeitskraft darstellen, werden in großen Teilen noch immer von Frauen geleistet: Wäsche waschen, sich selbst und andere pflegen,

Nahrungsmittelerwerb und Zubereitung, Putzen und Aufräumen und den sozialen Zusammenhalt organisieren. Die Verteilung dieser Arbeit unter dem Aspekt des sozialen Geschlechtes hat sich während der Pandemie zu Ungunsten von Frauen verschärft. Es hätte keiner Pandemie gebraucht um zu erkennen, dass diese Verteilung von Arbeit Frauen strukturell und insbesondere ökonomisch benachteiligt. Es waren vor allem Frauen, die zu Ungunsten der eigenen Lohnarbeit im Homeoffice die Betreuung der Kinder übernommen haben und es sind Personen mit Uterus, die sich in Vorstellungsgesprächen Fragen unterziehen müssen, wie sie eine Vereinbarkeit zwischen generativer Reproduktion einerseits und der Lohnarbeit andererseits sehen können.

Frauen und die von ihnen verrichtete Arbeit ist nicht nur in Krisen systemrelevant, sondern immer. Wir fordern:

die Aufwertung von professioneller und privater Reproduktions- und Carearbeit Überwindung von Geschlechterstereotypen in Bezug auf die Verteilung von Arbeit kostenlose staatlich bereitgestellte Betreuung von Kindern und Pflegebedürftigen

Geschlechtergerechte Verteilung von Arbeit ermöglichen durch Reduktion der

Wochenarbeitszeit auf 25 Stunden

Strenge Kontrolle auf EInhaltung der Arbeitsschutzstandards bei Betreuungskräften in Privathaushalten

Reproduktionsarbeit professionalisieren mit tarifvertraglich gesicherten und armutsfesten

Löhnen

kostenlose Betreuung für Kinder ab der KiTa

Gesellschaftliche Notwendigkeit von Kinderbetreuung anerkennen

Kündigungsschutz und Lohnfortzahlung für Eltern, die nicht auf professionelle Betreuung ihrer Kinder zurückgreifen können

Anreize zur gerechten Aufteilung von Reproduktionsarbeit schaffen: 18 Monate Elternzeit bei paritätischer Aufteilung zwischen den Eltern

Kind-Krank Tage erhöhen – insbesondere für das Erste Jahr der Fremdbetreuung

  1. Sichtbarkeit von Frauen erhöhen, auch im Krisenmanagement

Die Lebenssituation vieler heteronormativer Familien zeigt in der gegenwärtigen CoronaPandemie einen gesellschaftlichen Rollback zurück in jene unserer Eltern und Großeltern: Gerade die Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen erlebt derzeit nicht nur im Privaten, sondern auch in der gesamtgesellschaftlichen, öffentlichen Wahrnehmung wieder den Abschied der ansatzweise bereits erkämpften egalitären Rollenverständnisse. So sind/waren es überwiegend Frauen aus Familien mit Kindern, die mit Beginn der Krise ihre im Allgemeinen ohnehin zeitlich geringere Erwerbsarbeit noch weiter reduzierten, um sich um Kinder, Angehörige und den Haushalt zu kümmern. So sind/waren es auch Frauen, die auch deutlich weniger Aufmerksamkeit in der

Öffentlichkeit bekommen haben: Sei es in öffentlichen Diskussionsrunden jeglicher Formate oder Expert*innenbefragungen: Frauen spielen – das zeigt die aktuelle Pandemie – in unserer neoliberal-patriarchalen Gesellschaft in Krisen kaum eine Rolle, sobald es um öffentliche Meinungsbildung und Meinungsäußerung geht. In Krisensituationen möchte man sich offenbar nur auf die stereotypisch „starken Männer“ verlassen. Es waren Männer, die die Wege aus der Krise beschrieben haben. Es waren Männer, die den Ton angegeben haben. Es waren auch Männer, die die tradierten Rollenbilder dadurch wieder heraufbeschworen und gefestigt haben. Uns ist klar: wenn wir es als Gesellschaft nicht schaffen, mit mehr Diversität in den entscheidenen Sprecher*innenrollen Gesellschaftliche Realität abzubilden, werden sich heteronormative und patriarchale Strukturen ewig reproduzieren.

Wir fordern deshalb:

harte Quoten, die nicht nur das Geschlechtervielfalt abbilden, sondern auch Menschen mit Migrationsbiografien, jegliche soziale und kulturelle Hintergründe und Disability in ihrer bereichernden gesellschaftlichen Vielfalt abbilden. Diese Quoten betreffen nicht nur Lehrstühle und akademische Laufbahnen, sondern auch die Chefetagen der Privatwirtschaft und in Medienkonzernen.

aktive Bekämpfung von Geschlechterstereotypen und Sexismus in Werbung, Film und Fernsehen

Sensibilisierung und Fortbildung der (Lehr-)Fachkräfte in Bildungseinrichtung ab der Kita für Geschlechterdiversität

  1. Häusliche Gewalt in der Corona Krise

Die Häusliche Gewalt ist während der Corona Krise und den damit verbundenen

Ausgangsbeschränkungen angestiegen.  Für viele Frauen kann das eigene zu Hause so zu einem gefährlichen Ort werden. Beengte Verhältnisse, Zukunftsangst, drohende Arbeitslosigkeiten und kein Möglichkeit, Wut zu kanalisieren: Dies führt oft dazu, dass Frauen Opfer von häuslicher

Gewalt werden. Unter normalen Umständen können in der Kita, in den Schulen oder auch am Arbeitsplatz Gewalterfahrungen und Misshandlung erkannt und angesprochen werden – was durch die Reduktion des öffentlichen Lebens unmöglich gemacht wurde. So bleibt zwar die Möglichkeit sich selbst online oder telefonisch Hilfe zu suchen, was aber bei mangelnden

Rückzugsmöglichkeiten auch sehr schwer oder gar unmöglich sein kann. Zwar wird insbesondere in Mehrparteien-Wohneinheiten Gewalt von Nachbar*innen bemerkt, die Hemmschwelle einzugreifen, Hilfe anzubieten oder die Polizei zu rufen ist allerdings sehr groß.

Deshalb fordern wir:

ein flächendeckendes Angebot von Anlaufstellen für Betroffene von körperlicher und seelischer Gewalt

die Anlaufstellen müssen in zumutbarer Entfernung, mit dem ÖPNV erreichbar sein Verbreitung der Informationen über Hilfsangebote dezentral über Kommunen in

Zusammenarbeit mit den Frauenhäusern vor Ort

Recht auf säkulare Beratungsangebote

Öffentlichkeitsarbeit zur Sensibilisierung im Erkennen von körperlicher und seelischer Gewalt

„Ausweitung des Therapie – und Schulungsangebot von Tätern“